Neue Zürcher Zeitung (CH), 30. August 2000
Aktive Nahostdiplomatie der Türkei
Jerusalem im Zentrum bei einem Besuch Baraks in Ankara
Der israelische Ministerpräsident Barak ist bei einem Besuch in Ankara darum gebeten worden, im Streit um Jerusalem mehr Flexibilität zu zeigen. Der Ausbau der ohnehin schon intensiven Zusammenarbeit auf militärischem Gebiet war ein weiterer Gesprächspunkt.
it. Istanbul, 29. August
Der türkische Regierungschef, Ecevit, hat am Montag den israelischen Ministerpräsidenten, Barak, gebeten, in der Jerusalemfrage mehr Flexibilität zu zeigen. Israels Haltung hinsichtlich der heiligen Stätten Jerusalems habe die Palästinenser irritiert, erklärte Ecevit seinem Gast in Ankara. Der türkische Politiker wollte an einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Barak nicht näher erläutern, was seine Regierung genau unter Flexibilität versteht. Doch er unterstrich, dass einige Konzessionen in der Jerusalemfrage die Palästinenser zufriedenstellen und den Frieden im Nahen Osten ermöglichen könnten. Barak hat sich für die Bemühungen Ankaras bedankt, soll aber laut der türkischen Presse jeden Kompromiss in der Jerusalemfrage abgelehnt haben. Er soll seinen Gastgeber darum gebeten haben, den Palästinensern klarzumachen, dass die Alternative zum Frieden für die ganze Region unangenehme Folgen habe.
Diese Aufgabe fällt nun dem türkischen Aussenminister, Cem, zu, der laut Barak einer der seltenen Politiker ist, die die Nuancen der nahöstlichen Politik verstehen. Die Regierung Ecevit hatte lange Zeit eine Vermittlerrolle im israelisch- palästinensischen Konflikt abgelehnt, weil sie davon überzeugt war, dass allein unter der Führung Washingtons der Friedensprozess im Nahen Osten eine Chance hat. Nach dem ergebnislosen Gipfeltreffen in Camp David hat aber der Palästinenserführer Arafat Anfang August Ankara besucht und die türkische Regierung dazu aufgerufen, in der Region aussenpolitisch aktiver zu werden. Von allen muslimischen Ländern pflegt die Türkei die engsten Beziehungen zu Israel, muss sich Arafat wohl gedacht haben. Seit Anfang August ist Ankara Schauplatz einer stillen, aber äusserst regen Nahost-Diplomatie. Ausser Arafat haben der amerikanische Nahostbeauftragte Walker sowie der israelische Aussenminister Ben-Ami die Regierung Ecevit über den Lauf der Verhandlungen informiert. Der türkische Aussenminister, Cem, besuchte vor Wochenfrist Arafat im Gazastreifen. Wegen der intensiven diplomatischen Aktivitäten kursiert in Ankara das Gerücht über einen türkischen Plan zur Lösung der Jerusalemfrage. Demnach soll die von den Mauern umgebene Altstadt ähnlich wie zu osmanischen Zeiten einer internationalen Verwaltung unterstellt werden. Arafat soll laut Medienberichten mit dem Vorhaben einverstanden sein.
Während seines Besuchs hat Barak auch den türkischen Verteidigungsminister, Sabahattin Cakmakoglu, getroffen und damit hervorgestrichen, welch grosse Bedeutung Tel Aviv der Zusammenarbeit mit der Türkei im Militärsektor beimisst. Israels Verteidigungsindustrie wünsche mehr Aufträge aus der Türkei, erklärte Barak. Sein Land sei im Gegenzug zu einem Transfer von Technologie und Erfahrung zugunsten der türkischen Industrie bereit. Ankara hatte vor kurzem die Absicht verkündet, in den nächsten 25 Jahren gegen 150 Milliarden Dollar zur Modernisierung seiner Rüstung auszulegen. Israelische Firmen haben bereits die Anpassung von türkischen Kampfflugzeugen des Typs F-4 Phantom übernommen und konkurrieren bei der Ausschreibung eines weiteren Projekts zur Produktion von 145 Kampfhelikoptern in der Höhe von 4 Milliarden Dollar mit den Russen. Laut Presseangaben soll die türkische Regierung Barak klargemacht haben, dass israelische Firmen aus politischen Gründen beim Projekt für einen Spio nagesatelliten sowie bei der Beschaffung von neuen Radaranlagen ausgeschieden seien.