Berliner Zeitung, 30.8.2000

Kommentar

Unilateral, multilateral, scheißegal

von Ralf Beste

Wie es um die Hingabe der rot-grünen Koalition an eine menschenrechts- und ökologieorientierte Außenpolitik bestellt ist, dokumentiert die leidenschaftliche Debatte über die Plutoniumfabrik in Hanau. Am Abend des 17. März erklärte Außenminister Joschka Fischer den Delegierten des grünen Parteitages, dass bald eine schwere exportpolitische Entscheidung auf sie zukomme: Soll die Bundesregierung die Lieferung der Hanauer Anlage an Russland billigen? Damit würde man die nukleare Abrüstung fördern, aber zugleich auch die zivile Nutzung des Atoms. Diese Frage würde alle - damals aktuellen - Streitigkeiten über Hermes-Bürgschaften für Elektrokabel in chinesischen Atomkraftwerken in den Schatten stellen, prophezeite Fischer und erbat "kreative Lösungen".

Fünf Monate lang passierte nichts, bis jetzt der Bundeskanzler Fischers Bitte nachkam. Vor dem Besuch des SPD-Präsidiums sagte er den wartenden Journalisten kurz und knapp, die Anlage werde natürlich geliefert.

Der Vorgang sagt zunächst etwas über das kreative Potenzial der Grünen. Sobald regierungsinterne Entscheidungen über heikle exportpolitische Fragen bekannt werden, wie zuletzt bei der Lieferung einer Munitionsfabrik in die Türkei, jault die grüne Seele auf. Abgeordnete fordern Beteiligung und Transparenz. Wird den Grünen in einem Überschwang von Transparenz die gesamte Last der Entscheidung frühzeitig offenbart, schweigen sie betreten.

Könnte man es ihnen andererseits verdenken? Nach welchen Kriterien Exportentscheidungen der Bundesregierung wirklich zu treffen sind, dürfte selbst im innersten Zirkel der Macht so manchem schleierhaft sein. Auch der deutsche Botschafter in Ankara zum Beispiel ist nicht zu beneiden, stellt man ihn sich vor, wie er die Ausfuhrpraxis Berlins erläutert. Eine Munitionsfabrik will Deutschland an die Türkei liefern, weil das Land ein Nato-Partner ist und obwohl dort die Menschenrechte verletzt werden. 1 000 Panzer will Deutschland nicht an die Türkei liefern, obwohl das Land ein Nato-Partner ist und weil dort die Menschenrechte verletzt werden.

Für Botschafter, Abgeordnete und andere Bürger mag das widersprüchlich klingen, Kanzler und Vizekanzler dagegen bewegen sich im Ungefähren ihrer Außenpolitik erstaunlich sicher. Zwischen den internationalen Verpflichtungen Deutschlands auf der einen Seite und den ultimativen Vorgaben von SPD und Grünen auf der anderen Seite behalten nämlich meist sie selbst die Definitionshoheit über das Machbare.

Die deutsche Außenpolitik wird vom Gedanken des Multilateralismus getragen, der Einbettung in vielseitige, internationale Abkommen und Organisationen. Gleichzeitig leben die Parteien, die diese Regierung tragen, in einer Wertewelt, die im Milieu der Bundesrepublik-West entstanden ist und nun die Realisierung dieser Wertewelt einfordert - notfalls durch den einseitigen, unilateralen Vollzug von nationalen Entscheidungen. Menschenrechte und Ökologie, so die Logik vieler Grünen und Sozialdemokraten, sollen nicht mehr nur Handlungsmaxime für die Wohngemeinschaft, sondern auch für die Weltgemeinschaft sein.

Schröder und Fischer sind über das Denken ihrer Parteien längst hinaus und haben sich auf einen pragmatischen Umgang damit verständigt. Zwischen den internationalen Verpflichtungen einerseits und den Parteitagsbeschlüssen andererseits finden sie meist die Argumente, die sie gerade brauchen. Unilateral, multilateral, scheißegal: Die Lieferung der Munitionsfabrik erklärt sich aus einer Nato-Vereinbarung und ist im Übrigen längst vorentschieden, die der Plutoniumfabrik folgert zwingend aus einer Erklärung der G8. Die Panzerlieferung bleibt dagegen - vorerst - eine Frage der Prinzipien. Wenn nichts mehr hilft, beruft man sich auf die Schweigepflicht im Bundessicherheitsrat. Das klingt nach Tricksereien. Der CDU-Politiker Karl Lamers hat zu Recht gefragt, ob Fischer sich im Sicherheitsrat womöglich "gerne" überstimmen lasse.

Nach zwei Jahren Praxistest offenbart die Exportpolitik der rot-grünen Bundesregierung hinlänglich die Grenzen einer menschenrechts- und ökologieorientierten Außenpolitik. In Wirklichkeit nimmt Deutschland auch unter Schröder und Fischer keinen Ärger mit den Bündnispartnern, keine Entschädigungszahlungen und keinen Ansehensverlust in Kauf, um Parteitagsbeschlüsse durchzusetzen. Das ist gut so und es wäre an der Zeit, das auch offen zuzugeben.

Nach zwei Jahren Praxis zeigt die Exportpolitik der Bundesregierung die Grenzen einer menschenrechts- und ökologieorientierten Außenpolitik.