Berliner Zeitung, 30.8.2000
"Für die Grünen läuft das nicht gut"
Brisante Exportgeschäfte versetzen die Regierungspartei in Unruhe / Fischer in der Defensive
Ralf Beste
BERLIN, 28. August. Die Haltung zu brisanten Exportgeschäften der deutschen Industrie bereitet den Grünen eine aufregende Rückkehr aus der Sommerpause. Vorsitzende von Grünen-Landesverbänden kritisieren, dass die Bundesregierung die Lieferung einer Munitionsfabrik an die Türkei billigt. Die Verteidigungspolitikerin Angelika Beer hat mit ihren Attacken gegen Außenminister Joschka Fischer ihrerseits die Grünen-Führung gegen sich aufgebracht. Und die Anfrage von Siemens, ob Berlin etwas gegen die Lieferung der Hanauer Plutoniumfabrik nach Russland hat, offenbart für manche die Dilemmata des Regierungshandelns.
Hubert Kleinert zum Beispiel kennt sich als hessischer Landesvorsitzender aus mit der Atompolitik. In Hessen hat der damalige Umweltminister Joschka Fischer die Inbetriebnahme der MOX-Fabrik verhindert; damals war Kleinert einer seiner engsten Vertrauten. "Ich kann schon nachvollziehen, in welcher Zwickmühle der Außenminister steckt", sagt Kleinert. Abrüstungspolitisch sei es doch "nichts ganz Schlechtes", wenn man den Russen bei der Umwandlung ihres Waffenplutoniums helfe. Aber: "Atompolitisch ist das natürlich aus unserer Sicht eine extrem negative Sache", sagt Kleinert. Rätselhaft ist für ihn vor allem, warum Siemens ausgerechnet jetzt aktiv werde: Ob sie vielleicht Fischer - als Revanche für Hanau - eins auswischen wollten?
Der Außenminister befindet sich derzeit ohnehin in der Defensive. Seine Partei ist mit großen Erwartungen in die Regierung gezogen und wollte neue Regeln für die Exportwirtschaft festlegen: politisch unkorrekte Ausfuhren sollten künftig verboten werden, die staatliche Förderung allemal. Am Streit um die Kampfpanzer für die Türkei war beinahe die Bundesregierung gescheitert. Kommt es jetzt zu einer Neuauflage? Vielleicht hat keines der Geschäfte das Gewicht der Leopard-Affäre, aber gemeinsam sorgen die Munitions- und die Plutoniumfabrik für Unruhe.
Der Vorstand der Grünen-Bundestagsfraktion zeigte sich jedenfalls alarmiert, als er am Montag in Berlin zusammentraf. Vor allem das Vorgehen der verteidigungspolitischen Sprecherin Angelika Beer sorgte für Unmut. Beer hatte Fischer einen offenen Brief geschrieben, in dem sie ihn in emotionalem Stil wegen der Lieferung der Munitionsfabrik attackierte.
Wohlgemerkt: Die Entscheidung selbst wird bei den Grünen auf breiter Front für falsch gehalten. Der hessische Parteichef Kleinert sagt: "Wenn man die eigenen Exportrichtlinien ernst nimmt, kann man das nicht genehmigen." Sein nordrhein-westfälischer Kollege Frithjof Schmidt hält sie für "schwer erträglich" und fordert eine Klärung der Sache im nächsten Parteirat.
Doch die Schärfe der Beer-Attacke irritiert das Fischer-Lager mehr, denn in den letzten zwei Jahren hat sich Beer als wichtige Stütze der Regierung erwiesen. Deshalb wird gemutmaßt, ob Beer sich aus Rücksicht auf die nächste Listenaufstellung in ihrem Landesverband von eben diesem Image distanzieren wolle. "Wir würden uns wünschen, wenn die eigenen Leute uns mehr Vertrauen schenkten", seufzt einer. "Mir ist Beers Motivation völlig schleierhaft; ich sehe nur: Für die Grünen läuft das nicht gut."
Uneinigkeit in der SPD // Kanzler Schröder hat keine Bedenken gegen den Bau einer Munitionsfabrik in der Türkei. Dies bedeute aber kein Präjudiz für die Lieferung von Leopard-Panzern.
Die Saar-SPD dagegen lehnt die Lieferung der Fabrik ab. Ihr Fraktionschef Heiko Maas forderte, die Bundesregierung solle die Exportgenehmigung zurücknehmen.
Die Lieferung sei angesichts der Menschenrechtslage nicht vertretbar. Bei Waffengeschäften dürften wirtschaftliche Interessen nicht im Vordergrund stehen.
AP/FRANK RUMPENHORST Blick in den für die Endkontrolle von Uran-Plutonium-Tabletten bestimmten Raum der stillgelegten Mischoxid-Fabrik (MOX) von Siemens in Hanau.