DER STANDARD (A), 31. August 2000,
Im Irak wächst wieder die Angst vor einem amerikanischen Militärschlag
"Sie werden uns nicht brechen"
Seit zehn Jahren leiden die Iraker unter den UNO-Sanktionen, die nach dem Überfall auf Kuwait gegen das Land verhängt wurden. Dass in den USA Präsidentschaftswahlen vor der Tür stehen, lässt den "Mann auf der Straße" nichts Gutes erwarten. Standard-Mitarbeiter Eldad Beck berichtet aus Bagdad.
"Glauben Sie, dass es wieder Krieg gibt?" Muhammad, ein jordanischer Fahrer, absolviert täglich die tausend Kilometer, die Jordaniens Hauptstadt Amman mit Bagdad verbinden. Seit zehn Jahren, als nach der irakischen Invasion Kuwaits die UNO-Sanktionen verhängt wurden, ist diese lange Straße mehr oder weniger die einzige Verbindung zwischen dem Irak und dem Rest der Welt.
Muhammad ist mit seinen Ängsten nicht allein, seine Frage reflektiert die Stimmung unter der irakischen Bevölkerung. Zwei Monate vor den amerikanischen Präsidentschaftswahlen steigt die Spannung. Die USA und Großbritannien haben ihre Angriffe auf irakische Ziele im Süden und Norden des Landes verstärkt, beinahe schon täglich kommen bei Luftangriffen auch Zivilisten zu Schaden, werden verletzt und getötet. Im Westen nimmt man diesen schleichenden Krieg kaum zur Kenntnis, die Medien berichten so gut wie nichts.
Andererseits kann man über angebliche irakische Aggressionsgelüste alles nachlesen. Es gab Berichte über irakische Truppenmassierungen in den nördlichen Provinzen, die Saddam Husseins Absicht verraten sollen, die Kurden in der von den Alliierten proklamierten Flugverbotszone anzugreifen. Ein amerikanischer Journalist, der sich im Nordirak genau umsah, erzählt, dass er nichts dergleichen beobachten konnte.
Und unabhängige Beobachter in Bagdad dementieren auch entschieden Behauptungen, dass der Irak inzwischen seine Kapazitäten, Langstreckenraketen zu bauen und sie mit atomaren, chemischen oder biologischen Gefechtsköpfen zu bestücken, wiedererlangt hat.
Keine Bedrohung
"Die Sanktionen haben mitgeholfen, die irakischen Massenvernichtungswaffen zu eliminieren", sagt ein in Bagdad stationierter, europäischer Diplomat über die Abrüstung des Irak - an der die Aufhebung der UNO-Sanktionen hängt. "Vom Irak geht keine atomare Drohung mehr aus. Das Kapitel ,ballistische Raketen' ist beinahe abgeschlossen, was die Aufklärung der Chemiewaffenprogramme betrifft, hat man große Fortschritte gemacht. Bei den Biologiewaffen ist vieles offen, aber es gäbe die Möglichkeit, enger mit der irakischen Regierung zu kooperieren und zu einem Punkt zu kommen, an dem die Sanktionen aufgehoben werden können. Aber es scheint, dass die Amerikaner einfach wollen, dass die Situation bleibt, wie sie ist. Der Irak ist eine innere amerikanische Angelegenheit."
Dass der Sohn des "Kriminellen Bush" zehn Jahre nach dem Golfkrieg US-Präsident werden könnte, erweckt bei den Irakern den Verdacht, dass dieser vorhaben könnte, das Werk seines Vaters zu vollenden. Andere, wie Abdulkarim, ein Kleiderhändler im Bazar, glauben, dass es gar nichts ausmacht, wer im Weißen Haus sitzt: Die USA wollen, dass der Irak geschwächt und zerstört wird. "Sie wollen keinen starken Irak. Aber was auch immer passiert, das irakische Volk wird siegreich aus der Sache hervorgehen, das war immer so und wird so bleiben. Sie werden uns nicht brechen."
Psychologische Stärke
"Wir fürchten uns vor niemandem", sagt Lina, eine 31-jährige Lehrerin mit einem stolzen Lächeln. "Wir sind Araber und Iraker. Vergleichen Sie das riesige Amerika mit dem kleinen Irak. Sie haben enorme Mengen von Waffen gegen uns eingesetzt, aber sie haben unsere psychologische Stärke unterschätzt. Wir sind die siegreiche Partei in diesem Konflikt."
"Wenn die Amerikaner Saddam Hussein wirklich loswerden wollten", sagt ein anderer Iraker, "so hätten sie es längst getan." Dass die USA Saddam nicht anrühren, um ihn als Grund dafür zu benützen, die "Belagerung" des Irak fortzusetzen - diese Meinung ist weit verbreitet. "Damit sie den ganzen Nahen Osten unter Kontrolle halten können", erklärt der Mann weiter, "und wir zahlen den Preis."