junge Welt, 31.08.2000
Wo Neonazis »normal« sind
»National befreite Zonen« - Strategie und Gegenstrategien
Als der wahlpolitische Durchmarschversuch der Naziparteien im Anschlußgebiet erkennbar gescheitert war, entwickelten militante Kräfte im Umfeld der NPD schon im Sommer 1991 in der Zeitschrift Vorderste Front das Konzept der »national befreiten Zonen«. Es ist ein politisches Konzept, das eher dem einer Guerilla-Organisation - von denen es geklaut war - als dem einer politischen Partei entspricht. Ausgehend von Aktivisten sollte es darum gehen, in verschiedenen Regionen durch den Aufbau von politischen Strukturen und kameradschaftlichen Verbindungen politisch hegemonial zu werden, so daß Antifaschisten oder Ausländer in dieser Gegend keine freie Bewegungsmöglichkeit mehr haben. Solch »braune Zone« sei »kein festumrissener und geographisch definierter Ort, sondern beschreibt ein bestimmtes Milieu, ein Netz von Verhaltenssmustern, das Einstellungen und Ideen nur innerhalb bestimmter Grenzen als >normal< vorschreibt«, definiert Burkhard Schröder vom Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung.
Die Bedingungen für dieses Konzept waren in den neuen Bundesländern in doppelter Hinsicht förderlich. Faschistische und rassistische Ideologien fanden - besonders in den durch die Abwicklung deindustrialisierten Regionen - Resonanz, nicht nur unter Jugendlichen, sondern »klammheimliche Freunde« auch unter der »schweigenden Mehrheit«. Die Gewalttaten in Hoyerswerda und Rostock unter dem Beifall des kleinbürgerlichen Mobs waren nur die Spitze des Eisbergs der gesellschaftlichen Akzeptanz von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.
Tolerierungspolitik und heimliche Akzeptanz drücken sich auch in der Jugendpolitik aus. Als ein offener Kampf um die ideologische und praktische Hegemonie zwischen linken und rechten Kräften in den Jugendzentren entbrannte, stellten die Kommunen überall dort, wo solche Konflikte auftauchten, den faschistischen Kräften eigene Räume und Strukturen (Sozialarbeiter) zur Verfügung. Dabei waren diese Betreuer entweder hoffnungslos überfordert, da die klassischen Methoden der Jugendsozialarbeit versagten, oder sie wechselten selber ins rechte Lager - wenn sie nicht bereits aus diesem Spektrum kamen. So wurden diese Jugendzentren nicht Ansatzpunkte zur Deeskalation, wie es die Politiker gerne verkündeten, sondern infrastrukturelle Netze zum Aufbau und zur Durchsetzung rechtsextremer Strukturen. Kritiker dieser Jugendarbeit sprechen daher zu recht von »staatlicher Glatzenpflege«.
Die Dominanz von Neonazis gehört inzwischen in einigen Orten im Osten der Republik zum Lebensalltag. In kleineren Kommunen, wie etwa Mahlow in Brandenburg, halten Gruppen von 30 bis 40 jungen Männern mit Kurzhaarschnitt, Springerstiefeln und rechten Symbolen an der Bomberjacke Jugendclubs, Bahnhöfe, Tankstellen oder Markplätze besetzt, wo es für Nichtfaschisten und Nichtdeutsche bei Gefahr für Leben und Gesundheit nur schwer möglich ist, sich frei zu bewegen. Die Dramatik der Situation zeigen die Morde und schweren Übergriffe der letzten Wochen.
Was tun? Notwendig und sinnvoll sind sicherlich symbolische Aktionen, wie in Saalfeld und Wurzen, wo durch überregionale und bundesweite Demonstrationen Antifaschisten dokumentierten, daß sie die Straßen nicht den neofaschistischen Skins überlassen werden. Auch wohlüberlegte Aktionen gegen Nazitreffs und rechte Jugendclubs können vereinzelt Erfolge bringen. Hinzukommen muß jedoch eine Strategie, die auch längerfristig in den betreffenden Regionen einen politischen Klimawechsel ermöglicht. Dazu gehört, daß alle antirassistischen Gruppen (demokratische Parteien und Initiativen, Kirchen, Sozialeinrichtungen, Gewerkschaften u. a.) gemeinsam agieren, der Aufbau von antirassistischen Netzwerken wie z. B. das Eberswalder Netzwerk gegen Rechtsextremismus. Runde Tische sind nötig, sie müssen aber so groß konzipiert werden, daß dort auch für autonome Kräfte Platz ist.
Wenn Politiker nun Zivilcourage gegen rechte Gewalt fordern, dürfen auf der anderen Seite nicht die Täter geschützt werden. Offene oder heimliche Toleranz für rassistische Gewalttäter sind weder in den kommunalen Verwaltungen noch bei der Polizei zu akzeptieren. Wenn beispielsweise Vereine ihr Schützenfest durch eine NPD-Ordnertruppe »schützen« lassen, muß dies durch kritische Medien und Kommunalpolitiker öffentlich gemacht werden. Eine Forderung an die Landespolitiker lautet, daß Mittel der Jugendarbeit nur in solche Projekte fließen, die eine antirassistische Praxis nachweisen können. Denn nicht Rassismus tolerierende Sozialarbeit, sondern nur antirassistisches Handeln hilft.
Bernd Kant