Frankfurter Rundschau 1.9.2000
Teheran prangert Schläger an
Studenten werfen Khatami sein langes Schweigen vor
TEHERAN, 31. August (dpa/tah). Die reformorientierte iranische Regierung hat
organisierte Schlägertrupps für Unruhen in der Stadt Choramabad im
Westen des Landes verantwortlich gemacht. Ihre Absicht sei es gewesen, die Regierung
zu schwächen, zitierten Teheraner Medien am Donnerstag eine Verlautbarung
nach einer Sondersitzung des Kabinetts unter Vorsitz von Präsident Mohammed
Khatami. Bei den Zwischenfällen waren in den vergangenen Tagen mindestens
ein Polizist getötet und mehr als 100 Menschen verletzt worden.
Reformorientierte Studenten in Teheran bezeichnen die Schläger als radikale
Islamisten, die der konservativen Opposition nahe stehen und sich Buchstaben
getreu an die Prinzipien der islamischen Revolution halten. Sie versuchten mit
ihrem gewaltsamen Vorgehen gegen anders Denkende bereits auch Einfluss auf die
Präsidentenwahl im nächsten Mai zu nehmen. Der Vize-Innenminister
Mustafa Tajzadeh warf den Schlägertrupps vor, eine "Atmosphäre
des Terrors" schaffen zu wollen.
Die Regierung forderte die Justizbehörden den Medien zufolge auf, die Unruhestifter
rasch vor Gericht zu stellen. Der Chef des Justizwesens schickte einen Sondergesandten
nach Choramabad.
In Teheran geben sich Reformer und Konservative gegenseitig die Schuld an den
blutigen Ausschreitungen. Nur der Staatspräsident stand tagelang abseits
und schwieg, was die Studenten enttäuscht registrierten: "Wenn Herr
Khatami nicht im Stande ist, für Recht und Ordnung zu sorgen, soll er es
öffentlich zugeben", hatten die Studentenvereine am Mittwoch in einem
Kommuniqué erklärt. "Denn die ewigen Artigkeiten sind der Sache
der Reformen kaum dienlich."
Der Machtkampf in Teheran zwischen Khatami und dem islamischen Establishment
um Revolutionsführer Ayatollah Khamenei zeigte sich auch deutlich in der
politischen Führung von Choramabad Während der Freitags-Imam den "berechtigten
Zorn der Söhne des Islam" gegen die Reformer verteidigte, nahm der
Gouverneur Partei für die Studenten. Er bat sie aber, ihre Tagung vorzeitig
zu beenden, damit die Gewalt nicht eskaliere. Auch die Bevölkerung hatte
Partei für die Studenten ergriffen.