Frankfurter Rundschau 1.9.2000
Militär drängt auf Ausschluss von Islamisten
ISTANBUL, 31. August (rtr/ap). Das türkische Militär hat an die
Parlamentsabgeordneten appelliert, einem Regierungsvorschlag zum Ausschluss
von Anhängern islamistischer und militanter Gruppen aus dem Staatsdienst
zuzustimmen. Der Generalstabschef der Armee, Huseyin Kivrikoglu, sagte nach
einem Bericht in der Zeitung Hürriyet, Tausende von militanten Islamisten
arbeiteten an der Zerstörung des Staates. Die Parlamentsparteien sollten
ihre Abgeordneten in der Abstimmung über den Gesetzesvorschlag zu strenger
Parteidisziplin anhalten. Die Armee versteht sich als Hüterin der weltlichen
Verfassung der Türkei und der darin verankerten Trennung von Staat und
Religion.
Militante Islamisten hätten sich überall im Staatsdienst festgesetzt,
auch im Gerichtswesen, und arbeiteten jeden Tag daran, den Staat umzukrempeln,
sagte Kivrikoglu. Ihr Ausschluss vom Staatsdienst sei zu einer Prestigefrage
für die Regierung unter Ministerpräsident Bülent Ecevit geworden.
Über den Vorschlag der Regierungskoalition wird das Parlament nach der
Sommerpause im Oktober beraten. Ecevit hatte zuvor vergeblich versucht, den
Entwurf direkt über Staatspräsident Ahmet Necdet Sezer durchzusetzen.
Der frühere Präsident des Verfassungsgerichtes Sezer verweigerte zweimal
seine Unterschrift und verwies Ecevit ans Parlament. Eine Entscheidung des türkischen
Verfassungsgerichts über ein Verbot der größten Oppositionspartei
im Parlament, der islamistischen Tugendpartei, wird im September erwartet.
Im Prozess gegen einen einflussreichen islamischen Führer forderte die
türkische Staatsanwaltschaft am Donnerstag zehn Jahre Haft wegen Planung
eines Umsturzes. In der 79-seitigen Anklageschrift wird Fethulah Gülen
laut dem Fernsehsender NTV vorgeworfen, seine Anhänger systematisch in
den Staatsdienst gelenkt zu haben, um eine islamische Diktatur zu schaffen.
Am Mittwoch hatte Stabschef Kivrikoglu die Justiz scharf angegriffen, weil diese
keinen Haftbefehl gegen Gülen ausgestellt hatte. Dem 62-Jährigen,
der sich vermutlich in den USA aufhält, drohen bei einem Schuldspruch bis
zu zehn Jahre Haft.