Berliner Zeitung, 2.9.2000
Krachen im Karton
Erich Böhmes Betrachtungen zum Wochenende
Es kommt auf das Kaliber an - offenbar. Die Türkei produziert seit rund dreißig Jahren in einer von der deutschen Firma Fritz Werner gebauten Munitionsfabrik Gewehrmunition des Kalibers 7,62 Millimeter. Wo die Endprodukte verbleiben, ob in Nato-Depots, im Kosovo oder in den Körpern zusammenkartätschter Kurden, weiß niemand so genau. Will wohl auch niemand so genau wissen. Warum auch, Deutschland ist inzwischen zum drittgrößten Waffenexportland der Erde aufgestiegen - tant pis.
Ende Oktober vorigen Jahres krachte es, als der Bundessicherheitsrat über die Lieferung eines Testpanzers Leopard 2 an die Türkei beschloss, Vorläufer eines beabsichtigten Exports von hundert Exemplaren an das Nato- und Kurdenland. Das Ding wurde genehmigt, obwohl der grüne Außenminister Joschka Fischer und die rote Entwicklungshilfeministerin Heidi Wieczorek-Zeul dagegen gestimmt hatten. Grüne und Linke wurden besänftigt, das eine Exemplar könne ja nicht so viel Flurschaden anrichten - warum aber wohl ein Exemplar, wenn nicht weitere folgen sollen? -, im Übrigen seien Panzer in den unwegsamen Bergen Kurdistans nicht so gefährlich wie die Munition von Handfeuerwaffen. Dennoch beschloss die rot-grüne Regierung neue Exportrichtlinien, denenzufolge Waffenlieferungen nicht mehr zugelassen werden sollten in Länder, die gegen Menschenrecht verstießen. Der rot-grüne Haussegen war wieder im Lot.
Nur so lange bis die Nato auf amerikanischen Druck beschloss, ein wirksameres Munitionskaliber von 5,56 Millimetern einzuführen. Also riefen die Türken bei der Fritz-Werner-Industrie-Ausrüstungs-GmbH im hessischen Geisenheim an, ob man denn mit dem Bau einer entsprechenden Gewehrmunitions-Fabrik rechnen könne. Die Geisenheimer, die sich inzwischen viel darauf zugute hielten, ihre Rüstungsproduktion auf zivilen Bedarf umzurüsten, beispielsweise in Russland eine Militärfabrik auf die Produktion von Fahrrädern umgestellt zu haben (na, also), antworteten, man könne. Gehorsam und exportorientiert beschloss der Bundessicherheitsrat Ende August die Genehmigung, das Menschenrechtsverletzungsland Türkei war unversehens zum friedliebenden Nato-Partner mutiert. Wie Joschka und Heide gestimmt haben, blieb geheim, weil halt alles geheim bleibt, was der Bundessicherheitsrat treibt, selbst die Daten seiner Tagungen, Export necesse est.
Geheim blieb auch der Beschluss, die Hanauer Plutoniumfabrik, die auf Betreiben des damaligen hessischen Umweltministers Joschka Fischer nicht in Betrieb genommen werden durfte und seither fabrikneu stillliegt, nach Russland zu exportieren. Die Exportrichtlinien, nach denen sicherheits- und außenpolitische Interessen Deutschlands nicht verletzt werden dürfen, seien beachtet worden, befand der Patriarch Schröder. Schließlich diene das Geschäft der Erfüllung amerikanisch-russischer Abrüstungsvereinbarungen, nach denen die waffenfähigen Plutonium-Vorräte beider Länder abgeschmolzen werden sollen. Die Fabrik diene schließlich der Umwandlung von waffenfähigem Plutonium in friedliche Kernbrennstäbe, so genannte Moxelstäbe - die, weil zu teuer, freilich kein Aas kaufen möchte.
Mögen doch die russischen Atombastler sehen, wohin sie mit dem Zeug sollen, vielleicht zur Bestückung neuer Atom-U-Boote der Kursk-Klasse, man braucht ja neue. Vielleicht kann die Ukraine sie gebrauchen, die gerade nach Lieferung neuer (deutscher?) Atomreaktoren Ausschau hält. Man muss ja schließlich Tschernobyl ersetzen.