AP, 03.09.2000
Koalitionsstreit um Rüstungsexport und Plutoniumfabrik - Wochenendzusammenfassung
Scharping verteidigt Liederung einer Munitionsfabrik in die Türkei - Debatte über Ausfuhr der Hanauer Plutoniumanlage
Frankfurt/Main (AP)
Die rot-grüne Regierungskoalition streitet weiter über die geplante Lieferung einer Munitionsfabrik in die Türkei. Während führende Grünen-Politiker den Rüstungsexport als politisch nicht tragbar kritisierten, hält Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) unbeirrt daran fest. Heftige Diskussionen entzündeten sich zudem am vorgesehenen Export der Hanauer Plutoniumfabrik nach Russland.
Mit Blick auf den Rüstungsexport in die Türkei sagte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Christian Simmert der «Welt am Sonntag», vor dem Hintergrund der neuen Waffen-Exportrichtlinien, die eine Orientierung an der Menschenrechtslage vorsehen, sei das Geschäft «politisch nicht tragbar». Nun müsse intern diskutiert werden, «wie die Informationsstränge zwischen Auswärtigem Amt und Fraktion verbessert werden können».
Dagegen verteidigte Scharping den Export. Im «Spiegel» hob der SPD-Politiker die «enorme strategische Bedeutung» der Türkei hervor. Auch der Außenminister Joschka Fischer von den Grünen sei selbst für die Beitrittskandidatur der Türkei zur EU eingetreten, sagte Scharping. Deutschland brauche eine «leistungsfähige wehrtechnische Industrie». In Frankreich und Großbritannien würden Rüstungsexporte anders betrachtet, eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik werde sich nicht allein nach deutschen Vorstellungen richten. Sie habe jedoch klare Priorität auch gegenüber politischen Bedenken des grünen Koalitionspartners.
Die menschenrechtspolitische Sprecherin der Grünen, Claudia Roth, sagte, in dieser Frage gehe es um die Glaubwürdigkeit rot-grüner Menschenrechtspolitik. Nun müsse über die Verbindlichkeit der neuen Richtlinien diskutiert werden. Bei Entscheidungen über Waffenexporte sollte ihrer Ansicht nach künftig das Parlament einbezogen werden.
Im Streit um die Ausfuhr der Hanauer Mox-Brennelementefabrik nach Russland verlangte die niedersächsische Landesvorsitzende Heidi Tischmann «mehr Rückgrat» von Partei- und Fraktionsspitze. «Wenn man es politisch will, kann der Export noch verhindert werden», sagte sie der «Welt am Sonntag». Dem widersprach die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Kerstin Müller. Dem Berliner «Tagesspiegel» sagte sie: «Fischer hat das nicht in der Hand, und wir haben das auch nicht in der Hand. Wir können den Export der Mox-Fabrik nicht verbieten.» Nun müsse dafür gesorgt werden, dass Russland sein Waffenplutonium verglase. Deutsche Finanzmittel für das Mox-Projekt dürfe es nicht geben.