Berliner Morgenpost, 4.9.2000
FDP nennt Fischer und Trittin weisungsgebundene Prüfungsbeamte
Debatte um Export eines Brennelementewerks und einer Munitionsfabrik nimmt an Schärfe zu
omi Berlin - Die rot-grüne Regierungskoalition streitet heftig über die geplante Lieferung einer Munitionsfabrik in die Türkei und den vorgesehenen Export der Hanauer Plutoniumfabrik nach Russland. Während Grünen-Politiker den Rüstungsexport in die Türkei als politisch nicht tragbar kritisierten, hält Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) unbeirrt daran fest.
Im Magazin Der Spiegel hob Scharping die «enorme strategische Bedeutung» der Türkei hervor. Auch Außenminister Joschka Fischer (Grüne) sei selbst für die EU-Beitrittskandidatur der Türkei eingetreten, sagte Scharping. Deutschland brauche eine «leistungsfähige wehrtechnische Industrie». In Frankreich und Großbritannien würden Rüstungsexporte anders betrachtet, eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik werde sich nicht allein nach deutschen Vorstellungen richten. Sie habe jedoch klare Priorität auch gegenüber Bedenken des grünen Koalitionspartners.
Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Christian Simmert sagte der Welt am Sonntag, vor dem Hintergrund der neuen Waffen-Exportrichtlinien, die eine Orientierung an der Menschenrechtslage vorsehen, sei das Geschäft «politisch nicht tragbar». Es müsse intern diskutiert werden, «wie die Informationsstränge zwischen Auswärtigem Amt und Fraktion verbessert werden können». Die Grünen-Politikerin Claudia Roth sagte, in dieser Frage gehe es um die Glaubwürdigkeit rot-grüner Menschenrechtspolitik. Nun müsse über die Verbindlichkeit der neuen Richtlinien diskutiert werden. Bei Entscheidungen über Waffenexporte sollte ihrer Ansicht nach künftig das Parlament einbezogen werden.
In der Diskussion um den Export der Plutoniumfabrik forderte die niedersächsische Grünen-Chefin Heidi Tischmann «mehr Rückgrat» von der eigenen Partei- und Fraktionsspitze. «Wenn man es politisch will, kann der Export noch verhindert werden», sagte sie. Dem widersprach die Grünen-Fraktionschefin Kerstin Müller. Dem Tagesspiegel sagte sie: «Fischer hat das nicht in der Hand, und wir haben das auch nicht in der Hand. Wir können den Export der Mox-Fabrik nicht verbieten.» Nun müsse dafür gesorgt werden, dass Russland sein Waffenplutonium verglase. Deutsche Finanzmittel für das Mox-Projekt dürfe es nicht geben.
Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Rainer Brüderle kündigte gegenüber der Berliner Morgenpost an, «geeignete parlamentarische Initiativen» zu ergreifen, «in denen die Grünen der Öffentlichkeit und dem Parlament erklären müssen, weshalb deutsche Atomtechnologie im Ausland gewinnbringend eingesetzt werden darf, die die Grünen im Inland jahrzehntelang bekämpft und behindert haben».
Brüderle, der auch Vizechef der FDP-Bundestagsfraktion ist, sagte, die Bürger hätten ein Recht darauf zu erfahren, warum der ehemalige Umweltminister von Hessen und heutige Bundesaußenminister Fischer die Hanauer Fabrik «zu einer kostspieligen Investitionsruine verkommen ließ, sie seit neuestem aber offensichtlich für wirtschaftlich sinnvoll und ökologisch unbedenklich hält». Bislang schweige sich Fischer sich zu diesem Meinungsumschwung beharrlich aus, kritisierte Bürderle. Bundesumweltminister Jürgen Trittin, «der sich bis vor kurzem noch als Atomausstiegsminister inszenierte», fühle sich offenbar nicht mehr für Atomfragen zuständig. «Das ist sicherlich auch die Wahrheit, denn der Kanzler degradiert Fischer und Trittin zu weisungsgebundenen Prüfungsbeamten ohne politische Befugnisse. Brüderle warf Fischer vor, beim Export der Hanauer Brennelementefabrik als «Ritter der Scheinheiligkeit» aufzutreten: «Er werde dem Export nicht im Wege stehen, verkündet er jetzt. Dass er in dieser Sache gar nichts zu entscheiden hatte, macht die Äußerung des Bundeskanzlers deutlich: Danach sei Außenminister Fischer nur für die außenpolitische Prüfung zuständig. Das ist entlarvend.» Der Bundeskanzler spreche damit den Grünen jegliche politische Gestaltungskompetenz ab.