junge Welt, 06.09.2000
Traktiert bis zur Atemnot
Frankfurt am Main: Massive Gewaltanwendung bei versuchter Abschiebung einer Familie
Die Abschiebepraxis an deutschen Flughäfen sorgt weiter für Aufsehen, Die Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl fordert mit Blick auf einen wenige Tage zurückliegenden Fall von Bundesinnenminister Otto Schily, sich dieses Themas noch einmal anzunehmen.
1999 war der Sudanese Amir Aageeb bei einer gewaltsam durchgeführten Abschiebung aus der Bundesrepublik ums Leben gekommen. Daraufhin erließ Schily im Mai 1999 eine Weisung, die in einem Kernsatz festschreibt: »Keine Abschiebungen um jeden Preis«. Nun fordert die bundesweite Arbeitsgemeinschaft Pro Asyl Minister Schily auf, »daß er die Umsetzung seines Erlasses in die Praxis kontrolliert« und sich bei Überprüfungen von Vorfällen nicht allein auf Erklärungen seiner Beamten stützt. Der Grund: Am Wochenende sollte eine sechsköpfige iranische Familie unter massiver Gewaltanwendung durch Beamte des Bundesgrenzschutzes aus Deutschland abgeschoben werden.
Pro Asyl macht in einer Pressemitteilung auf den Fall des iranischen Ehepaars mit seinen vier Kindern aufmerksam. Nachdem die Familie sich sechs Wochen im Transitbereich des Frankfurter Flughafens befunden hatte und der Vater in dieser Zeit mehrfach damit drohte, sich im Fall einer Abschiebung das Leben zu nehmen, schritten BGS-Beamte am vergangenen Wochenende zur Tat. Die Familie sollte mit einer Maschine der Middle East Airlines ausgeflogen werden.
Bei dem Versuch, das Ehepaar mit seinen Kindern ins Flugzeug zu verfrachten, ist es offenkundig zu erheblicher Gewaltanwendung von seiten der BGS-Beamten gekommen. Dies berichteten, nach Angaben von Pro Asyl, die Mitarbeiterin einer Flüchtlingsinitiative und der Frankfurter Arzt Claus Metz. Metz ist Mitglied in der Ärzteorganisation IPPNW und hat nach der gescheiterten Abschiebung der Familie den Vater in Behandlung.
Nach den Darstellungen der iranischen Familie hatten zunächst vier Beamte und ein BGS-Arzt die Crew einer startbereiten Maschine der Middle East Airlines zu überreden versucht, die Familie an Bord zu nehmen. Statt den Familienvater zu Wort kommen zu lassen, hätten die Grenzschützer Hals, Arme und Kopf des Mannes gepackt und ihm über Minuten den Kopf auf die Brust gezwungen. Dann sei er »mit nach hinten hochgehebelten Armen in Bauchlage auf einer Sitzbank festgehalten« worden und offensichtlich in Atemnot geraten, so die Pressemitteilung zu den Vorgängen in Frankfurt. Als sich eine Polizistin auf den Rücken des Mannes setzte, habe der nur noch Schmerzenslaute von sich geben können. Der Versuch eines Sohnes und einer Tochter, dem Vater zu Hilfe zu kommen, sei von anderen BGS-Beamten mit Schlägen beantwortet worden. Auch gegen den Sohn hätten die Beamten anschließend »in erheblichem Maße atembehindernde Gewalt« angewandt. Der Versuch, die Familie abzuschieben, scheiterte aber, weil der Flugkapitän sich weigerte, sie zu befördern. Der anwesende BGS-Arzt, der von einer Bandscheibenoperation des Vaters gewußt haben muß, schritt während dieser Auseinandersetzungen nicht ein.
Pro Asyl fordert, daß sich Bundesinnenminister Schily um eine umfassende Aufklärung dieses Vorfalls und eine Durchsetzung seines Erlasses vom Mai 1999 bemüht. Für den Arzt Claus Metz steht fest, daß Schily hier die Möglichkeit hat, neben den üblichen Beteuerungen von BGS-Beamten, sie hätten keine oder nur angemessene Gewalt angewendet, weitere Stellungnahmen einzuholen. Denn die Vorgänge seien auch von zwei Sicherheitsbeamten der Middle East Airlines beobachtet worden, diese könnten zu dem Einsatz der Beamten befragt werden.
In einer ersten Stellungnahme des BGS heißt es unterdessen, der »unmittelbare Zwang« sei nur »zum Schutz der Betroffenen angewendet worden«.
Thomas Klein