Die Welt, 6.9.2000
Deutschland will mehr Verantwortung im Sicherheitsrat
Der Bundeskanzler reist zum UN-Millenniumsgipfel
Von Wulf Schmiese
Berlin/New York - Der UN-Millenniumsgipfel in New York wird selbst im Umfeld des Bundeskanzlers "Glamourgipfel" genannt. Das sei nicht abwertend gemeint, heißt es, sondern weise auf die große Bedeutung dieser Zusammenkunft hin: Niemals zuvor in der Geschichte der Vereinten Nationen gaben sich so viele Staats- und Regierungschefs im UN-Hauptquartier an Manhattans 42. Straße die Hand. Als die Vollversammlung hier vor fünf Jahren ihr 50-jähriges Bestehen feierte, fehlten auf dem Gruppenfoto der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl, der nicht teilgenommen hatte, wie auch Außenminister Klaus Kinkel, der früher abgereist war. Dieses Mal wurde das Welt-Familienbild gleich zu Beginn gemacht. Gerhard Schröder und der ihn begleitende Außenminister Joschka Fischer sind dort zu sehen. Doch neben der Schau geht es ihnen um Reformen, damit die Nachkriegsgründung UN den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gewachsen ist.
In seiner Rede vor der Vollversammlung bekräftigte Gerhard Schröder, dass die Mitarbeit an UN-Zielen für ihn "außenpolitische Priorität" habe. Aber er sparte auch nicht mit Kritik. Den Vereinten Nationen fehle es an Stärke und Effizienz. Der Sicherheitsrat müsse schneller handeln, wenn Frieden, Sicherheit und Menschenrechte bedroht sind. "Hierzu muss der Sicherheitsrat mehr als bisher handlungsfähig werden", hatte der Kanzler vor seiner Abreise betont.
Die Bundesregierung setzt sich deshalb für eine neue Struktur des UN-Sicherheitsrats ein, in dem bisher nur die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs und China dauerhaft sitzen. Für Schröder hat Deutschland seiner "Größe und auch außereuropäischen Bedeutung entsprechend ein Interesse daran, im Sicherheitsrat Verantwortung zu übernehmen". Die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN) drang ebenfalls schon im Vorfeld des Gipfels auf einen ständigen Sitz Deutschlands im Weltsicherheitsrat. Die rot-grüne Regierung tritt außerdem für eine Erweiterung des Sicherheitsrats um fünf neue ständige und vier neue nichtständige Mitglieder ein. Bei den rotierenden Mitgliedern sollen besonders die Entwicklungsländer berücksichtigt werden.
Das Veto-Recht, was häufig Aktionen der UNO vereitelte, solle gegenüber alten und neuen ständigen Mitgliedern "in gleicher Weise angewandt werden", heißt es auf deutscher Seite. Es dürfe keine Mitglieder erster und zweiter Klasse geben. Man sei aber offen dafür, über eine pragmatischere Anwendung des Vetos zu diskutieren.
Die Deutschen sind auch für eine "periodische Überprüfung" der nun einzuleitenden Reformen nach 15 Jahren. Ständige Mitgliedschaft solle nicht "ewige" Mitgliedschaft bedeuten, die Möglichkeit müsse bestehen, Sicherheitsratsmitglieder auch wieder abzuwählen. Doch all diese Vorschläge konnte Schröder aus Zeitgründen vor der Vollversammlung nicht nennen. Weil sich auf dem dreitägigen Gipfel insgesamt 190 Redner zu Wort melden wollen, wurde die Redezeit eines jeden Staats- und Regierungschefs auf fünf Minuten begrenzt.
Schröder wird im Laufe des Gipfels bilateral über diese Projekte und andere Themen sprechen. Geplant sind dazu Gespräche mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, Israels Ministerpräsidenten Ehud Barak, dem türkischen Staatsoberhaupt Ahmet Necdet Sezer und dem slowenischen Staatspräsidenten Milan Kucan.
Am Abend sollte Schröder auf Einladung von US-Präsident Bill Clinton mit jenen 14 Amtskollegen im "Waldorf Astoria Hotel" speisen, die im Juni an dem Berliner Gipfel "Modernes Regieren im 21. Jahrhundert" teilgenommen hatten. Diese sich als "Reformer" bezeichnende Runde hatte im Juni Richtlinien für die Förderung des Wohlstands, die Stärkung der Zivilgesellschaft und die weitere Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit verfasst.
Für Schröder ist dieser Gipfel der bisher größte außenpolitische Auftritt seiner politischen Laufbahn. Unabhängig davon wird er bei einem Gala-Dinner mit 700 geladenen Gästen am Donnerstagabend von der Menschenrechtsstiftung "Appeal of Conscience Foundation" zum Weltstaatsmann des Jahres gekürt. Dies Ehrung erhielten vor ihm Spaniens König Juan Carlos I., der ehemalige sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow, Ex-Bundespräsident Richard von Weizsäcker und der tschechische Präsident Václav Havel. Der Kanzler werde als ein Politiker geehrt, "der die wirtschaftlichen und politischen Grundlagen schafft, die Deutschlands Demokratie und die führende Rolle des Landes in der europäischen Integration stärken werden", begründete die Stiftung ihre Wahl. Mit dieser Auszeichnung wird Schröder einen Tag vor dem Ende des Gipfels nach Berlin zurückfliegen.