junge Welt, 07.09.2000
Warten auf den Tod
»Golfkriegssyndrom« durch abgereicherte Uran-Munition.
Auch Deutsche im Kosovo gefährdet
Auf Grund der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse, die Dr. Asaf Durakovic Anfang September bei einer internationalen Konferenz in Paris präsentiert hat, müßten im Bendler-Block, Verteidigungsminister Scharpings neuer Bleibe in Berlin, die Alarmglocken läuten. Auch Bundeswehrsoldaten und Zivilisten, die im Kosovo eingesetzt sind oder waren, haben neuen Anlaß zur Sorge. Denn nach einem Bericht der britischen Sunday Times erbrachte Dr. Durakovic vor renommierten Atomwissenschaftlern in Paris den Beweis, daß »Zigtausende« von britischen und amerikanischen Soldaten auf Grund radioaktiver Verseuchung durch das Verschießen von abgereichter Uranmunition (DU-Munition) während des Golf- Krieges eines langsamen und qualvollen Todes sterben.
Unter der als »Golfkriegssyndrom« bekannten Krankheit leidet eine noch nicht genau erfaßte Zahl von Golfkriegsveteranen; Schätzungen gehen jedoch von über 100 000 aus. Die amerikanischen und britischen Verteidigungsministerien haben dagegen die Existenz der Krankheit über lange Jahre bestritten. Wenn sich dies seit einiger Zeit auch geändert hat, so haben die verantwortlichen Regierungen jedoch das Syndrom immer noch nicht offiziell als Kriegsverletzung anerkannt.
Vermutungen über die Ursachen des Golfkriegssyndroms hatte es bisher schon viele gegeben. Nicht wenige davon dürften aus der Desinformationsküche des Pentagon gekommen sein. Das dürfte nun anders werden: Als ehemaliger Oberst der US-Arme und jetziger Professor für Nuklearmedizin an der Georgetown-Universität in Washington hatte Dr. Asaf Durakovic lange Zeit im Zentrum der Regierungsbemühungen gestanden, das Golfkriegssyndrom zu diagnostizieren. Bei der Pariser Konferenz der Europäischen Vereinigung der Nuklearmediziner hatte Durakovic die Ergebnisse vorgelegt, zu denen sein Forschungsteam gekommen ist. Bei den Untersuchungen von Golfveteranen wurden auch noch zehn Jahre nach dem Golfkrieg lebensbedrohlich hohe Dosen von abgereichertem Uran in deren Blut gefunden. Sowohl das amerikanische als auch das britische Verteidigungsministerium hatten sich bisher immer geweigert, die Veteranen auf abgereichertes Uran im Körper untersuchen zu lassen.
Durakovic geht davon aus, daß die vom Syndrom befallenen Soldaten winzige Partikel der DU-Munition eingeatmet haben. Sind diese Partikel erst einmal im Körper, dann verursachen sie einen langsamen Tod durch Krebs, unheilbare Nierenkrankheiten oder zerstören das Immunsystem. Allein in Großbritannien sind bisher bereits 400 ehemalige Soldaten am Golfkriegssyndrom gestorben.
Die Bundeswehrführung und die NATO scheinen sich der Gefahren, die beim Umgang mit verschossener DU-Munition entstehen, durchaus bewußt zu sein. So hatte die NATO bereits letztes Jahr vor Umgang mit Fahrzeugen, die im Kosovo von Urangeschossen getroffen wurden, gewarnt. Das Bundesministerium der Verteidigung hat im Juli 1999 bestätigt, daß im Rahmen der NATO-Luftangriffe gegen Jugoslawien DU-Munition »hauptsächlich im Kosovo« eingesetzt wurde, aber daß eine exakte Gebietsangabe nicht möglich sei, »da mit der Bordkanone keine vorgeplanten stationären Ziele angegriffen werden, sondern solche Ziele, die durch den Piloten während des Einsatzes erfaßt werden.« In dem Schreiben wird ferner bestätigt, daß die NATO am 1. Juli 1999 »auf eine mögliche toxische Gefährdung beim Umgang mit von DU-Munition getroffenen Fahrzeugen« hingewiesen und »vorbeugende Maßnahmen empfohlen« hatte. Doch »eine Dekontaminierungsplanung seitens der NATO gibt es derzeit nicht.«
Rainer Rupp