junge Welt, 07.09.2000
Verzweifelte Suche nach Hilfe
Evangelische Studentengemeinde: Kurdische Familie Akyüz benötigt dringend Schutz
Mit einem Appell an Kirchengemeinden, der kurdischen Familie Akyüz Schutz zu gewähren, wandten sich dieser Tage studentische Vertreterinnen und Vertreter der Evangelischen Studentengemeinde (ESG) aus Mainz an die Öffentlichkeit. Ein solcher Schutz sei dringend notwendig, weil ein noch laufendes Verfahren gegen die Familie sonst eingestellt werden könnte. Familie Akyüz muß eine offizielle Anschrift vorweisen können. Das aber kann sie nicht mehr, seit sie vor zwei Wochen aus dem Kirchenasyl der ESG fliehen mußte und untertauchte.
Die Vorgeschichte: Nachdem Vater Akyüz - trotz einer vom Psychosozialen Zentrum für Opfer organisierter Gewalt festgestellten Traumatisierung als Folge von Mißhandlungen und Folter in der Türkei - im Februar diesen Jahres aus Deutschland abgeschoben wurde, drohte das gleiche Schicksal dem Rest der insgesamt elfköpfigen Familie. Einem vom Anwalt der Familie gestellten Eilantrag auf Abschiebeschutz wurde nicht entsprochen. Wenige Stunden nach dieser Entscheidung umstellten damals um 4.30 Uhr morgens 50 Polizisten die Unterkunft der Familie. Die hatte jedoch ihre Unterkunft zuvor verlassen und wandte sich aus ihrem Versteck heraus an die beiden Wiesbadener Kirchengemeinden, die die Familie seit über einem Jahr kannten und in der Öffentlichkeit unterstützt hatten. Schließlich erklärte sich die Evangelische Studentengemeinde (ESG) bereit, der Familie Kirchenasyl zu gewähren.
Nach dreimonatigem Kirchenasyl in der ESG gab es eine für die kurdische Familie verhängnisvolle Entwicklung. Zunächst erklärte der Verwaltungsrat der katholischen St.- Elisabeth-Gemeinde, die sich zusammen mit der ESG und der Kreuzkirchengemeinde in Wiesbaden zu einem ökumenischen Bündnis Kirchenasyl zusammmengeschlossen hatte: Die Zusage, der Familie bis zur endgültigen Klärung des Verfahrens Schutz zu gewähren, könne nicht weiter aufrechterhalten werden. Daraufhin gab die evangelische Kreuzkirchengemeinde bekannt, sie sei nur zusammen mit der St.-Elisabeth-Gemeinde in der Lage, eine zuvor ins Auge gefaßte Rückführung der Familie von Mainz ins Kirchenasyl nach Wiesbaden zu bewerkstelligen.
In der ESG lief danach, nach Aussagen von Uta Ries, Geschäftsführerin im Flüchtlingsrat Wiesbaden, »ein äußerst widerwärtiger Deal zwischen Kirchenleitung und rheinland- pfälzischem Innenministerium. Die älteste Tochter Selma ist schwer nierenkrank, ihr Zustand verschlechterte sich während des Kirchenasyls dramatisch. Der Deal, der daraufhin zwischen der obersten Kirchenleitung - vermutlich Kirchenpräsident Steinacker - und dem Innenministerium ausgehandelt wurde: Selmas Leben, das heißt >freies Geleit< ins Krankenhaus, gegen die Zusage, das Kirchenasyl in Mainz bis 31. August zu beenden.«
Nachdem schon die Wiesbadener Gemeinden die notwendige Unterstützung versagten, spitzte sich auch in der ESG die Situation zu. Deshalb entschied sich die Familie zur Flucht aus dem Kirchenasyl und lebt seitdem irgendwo untergetaucht.
Unter der Überschrift »Gesucht werden mutige Christen und Gemeinden« wandte sich jetzt der studentische ESG-Rat an die Öffentlichkeit und bittet darum, der Familie zu helfen: »Seit Anfang August nahm der Druck seitens des Innenministeriums von Rheinland-Pfalz zu, das Kirchenasyl zu beenden. Außerdem widerriefen zunächst eine und dann beide Gemeinden aus Wiesbaden ihre Bereitschaft, die Familie aufzunehmen, was für uns völlig unverständlich ist«, so die studentische Vertretung in der ESG. »In einer ebenso undurchschaubaren Entscheidungsfindung zwischen Pfarrern, Pröbsten und oberster Kirchenleitung wurde beschlossen, daß die einzige Lösung der problematischen Situation in einer sogenannten >begleiteten Rückführung< der Familie in die Türkei liegt. Dies wurde der Familie unterbreitet, obwohl diese stets deutlich gemacht hatte, daß sie unter keinen Umständen in die Türkei zurückkehren will. Der ESG-Rat wurde hierzu weder gefragt noch darüber informiert. Wir haben dies erst erfahren, als die Familie bereits geflohen war und sind empört. Es war ein Schock für uns, als wir feststellen mußten, daß die Familie die Kirche nachts verlassen hatte, was zeigt, wie groß ihre Angst vor der Abschiebung in die Türkei war.« Nachdem Familie Akyüz ihr Vertrauen in den Schutz der ESG verloren hat, bittet der studentische ESG-Rat nun darum, daß »andere Christen sich bereit erklären, in der Nachfolge Christi Verfolgte zu schützen.«
Ein Appell, der vom Unterstützerkreis für Familie Akyüz mitgetragen wird. Allerdings sei es notwendig, daß die »Nachfolge Christi« anders aussehe als die der drei Gemeinden aus Mainz und Wiesbaden, die versprochen hatten, Familie Akyüz zu schützen.
Thomas Klein