"Versicherung gegen Extremisten"
Cem Özdemir, innenpolitischer Sprecher der Grünen, zu Volksentscheiden über Themen wie das Asylrecht
taz: Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD, hat vorgeschlagen, Volksabstimmungen über "emotionale" Themen wie das Zuwanderungsgesetz und das Asylrecht zuzulassen. Sind das Themen, über die es Volksentscheide geben sollte?
Özdemir: Das grüne Programm wird sicher nicht die Eckpunkte liefern für das, was abgestimmt werden kann und was nicht. Aber etwas anderes wird klar geregelt sein: nämlich dass bestimmte Grund- und Menschenrechte nicht zur Disposition stehen.
Insofern glaube ich, dass es Schutz genug gibt, um menschenverachtende Dinge von Volksentscheiden fern zu halten. Und es gibt immer noch das Verfassungsgericht, das solche Fragen ausschließen kann.
Das würde eine Abstimmung über das Grundrecht auf Asyl ausschließen, nicht über ein Zuwanderungsgesetz.
Das kann man nicht, genauso wenig wie eine Abstimmung im Parlament. Aber die Erfahrungen aus den Ländern, in denen es direkte Demokratie gibt, zeigen, dass die Leute meistens sehr vernünftig abstimmen. In der Schweiz sind beispielsweise Versuche von rechts außen, mit solchen Dingen populistisch umzugehen, immer an der Bevölkerung gescheitert. Manchmal zwar knapp, aber sie sind immer gescheitert.
Befürchten Sie nicht Stimmungsmache wie bei der Kampagne zur doppelten Staatsbürgerschaft in Hessen?
Wenn jemand möchte, dass man mit Themen emotionalisiert, dann findet er dafür immer Mittel und Wege. Das ist kein Argument gegen die direkte Demokratie, sondern dafür, anständig mit Minderheiten umzugehen. Zwischen Beginn des Verfahrens und Abstimmung liegen zudem anderthalb Jahre.
Die CDU war mit dieser Emotionalisierung sehr erfolgreich, wollen Sie solche Risiken eingehen?
Die Union hat auch ohne direkte Demokratie immer Möglichkeiten gefunden, zu emotionalisieren. Ich sehe kein zusätzliches Risiko durch die direkte Demokratie. Ich sehe im Gegenteil viele Chancen, wie wir etwas gegen Politik- und Parteienverdrossenheit tun können. Das ist, glaube ich, die beste Versicherung gegen Extremisten.
INTERVIEW: HEIDE OESTREICH