junge Welt, 09.09.2000
Kirchenasyl war erfolgreich
In Göttingen wurden drohende Abschiebungen abgewendet. Sieben Kurden erhielten Bleiberecht
»Als die Nachricht kam, konnte ich zum ersten Mal seit vielen Jahren ohne Angst vor Abschiebung einschlafen«, erzählt Senayi Yigit. Die Nachricht beinhaltete die Anerkennung als politischer Flüchtling. Senayi Yigit ist einer von zehn Kurden, die rund 15 Monate lang in Göttingen im Kirchenasyl verbrachten. Sieben von ihnen haben jetzt ein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland erhalten. Außer Yigit wurden die fünfköpfige Familie Kardasoglu und ein weiterer Mann, Emin Acar, nach Paragraph 51 des Ausländergesetzes als politische Flüchtlinge anerkannt, berichtete der evangelische Pfarrer Peter Lahmann vom Ökumenischen Arbeitskreis Flucht und Asyl gegenüber junge Welt.
Für die drei anderen Personen, zwei Männer und eine Frau, sind die Perspektiven nach Lahmanns Worten »unsicher«. Göttinger Kirchengemeinden hielten zu diesen Flüchtlingen aber weiterhin Kontakt und könnten ihre Anliegen gegenüber den Behörden auch künftig vertreten. Die zehn von der Abschiebung bedrohten Kurden hatten sich im Januar vergangenen Jahres zunächst in die Katholische Hochschulgemeinde in Göttingen geflüchtet, später zogen sie in andere Gemeinden um. Zahlreiche Initiativen unterstützten die Aktion durch Geldspenden und Öffentlichkeitsarbeit.
Während des Kirchenasyls hatten Unterstützergruppen durch intensive Nachforschungen auch in der Türkei die von den Flüchtlingen in ihren ursprünglichen Asylanträgen gemachten Angaben überprüft. Die Ergebnisse dieser Recherchen seien in die nun positiv entschiedenen Asylfolgeverfahren eingeflossen, sagte Maria Wöste vom Niedersächsischen Flüchtlingsrat gegenüber junge Welt. Die veränderte Lagebeurteilung durch das Auswärtige Amt, nach der auch politische Aktivitäten von Kurden im Exil als Verfolgungsgrund bewertet würden, sei den sieben jetzt anerkannten Asylbewerbern ebenfalls zugute gekommen.
Nach Lahmanns Ansicht ist die Gewährung und Unterstützung von Kirchenasyl »ein gutes Beispiel für die derzeit von der Politik eingeforderte Zivilcourage«. Auch für »das Deutschlandbild im Ausland« setze Kirchenasyl ein wichtiges Zeichen. Für die Kirchen bedeute die Beteiligung an solchen Initiativen die »praktische Umsetzung des Evangeliums«. Gegen Lahmann, einen weiteren evangelischen Pfarrer sowie ein Mitglied der Katholischen Hochschulgemeinde hatte die Göttinger Staatsanwaltschaft im Verlauf des Kirchenasyls wegen Beihilfe zum Verstoß gegen das Ausländergesetz ermittelt. Das Verfahren wurde jedoch eingestellt. Maria Wöste verwies auf einen Pastor und eine Pastorin in Braunschweig, die sich wegen eines Kirchenasyls für eine pakistanische Familie gegenwärtig vor Gericht verantworten müssen.
Das nun beendete Kirchenasyl war das fünfte in Göttingen innerhalb der letzten sechs Jahre. »Alle Kirchenasyle waren erfolgreich«, sagte Lahmann. Insgesamt 20 Flüchtlinge seien vor einer Abschiebung bewahrt worden, »einige von ihnen wären mit ziemlicher Sicherheit in Gefängnissen oder Folterkellern ihrer Herkunftsländer gelandet«.
Reimar Paul