Frankfurter Rundschau, 12.9.2000
Asyllobby erinnert Bundesregierung an Völkerrecht
"Not Verfolgter aus öffentlichem Bewusstsein gedrängt" / Zuwanderungskommission nimmt Beratungen auf
Von Ursula Rüssmann
Vor den heute beginnenden Beratungen der Zuwanderungskommission der Bundesregierung haben Flüchtlings- und Wohlfahrtsverbände eindringlich davor gewarnt, das Asylrecht weiter auszuhöhlen. Die Vorsitzende der Kommission, Rita Süssmuth (CDU), hofft derweil, Zuwanderung könne so geregelt werden, "dass damit Spannungen und Konflikte in unserer Gesellschaft reduziert werden".
FRANKFURT A.M., 11. September. Die in der Flüchtlingsarbeit tätigen Verbände rechnen im Rahmen der Einwanderungsdebatte mit massiven Angriffen auf den Flüchtlingsschutz in Deutschland und der EU und wappnen sich entsprechend. Pro Asyl, Amnesty International (AI) Deutschland, der Paritätische Wohlfahrtsverband (DPWV) und andere Organisationen wollen in den nächsten Wochen mit einem Memorandum zum Flüchtlingsschutz in die Offensive gehen, um ihre Positionen zu untermauern. AI-Asylreferent Wolfgang Grenz umreißt den Hintergrund: Das nach jahrelangen Rechtsverschärfungen und Abschottungsmaßnahmen "weitgehend verschwundene öffentliche Bewusstsein für die Not von Flüchtlingen und die Notwendigkeit von Flüchtlingsschutz" müsse wieder gestärkt, der "negativ besetzte Begriff Asyl" rehabilitiert werden.
Rechtspolitisch zielt die Initiative darauf, das Asylrecht als individuell einklagbares Recht mit Rechtswegegarantie zu bewahren. In der Union wie auch bei Innenminister Otto Schily (SPD) gibt es ernsthafte Bestrebungen, an diesem Punkt Abstriche vorzunehmen. Die Flüchtlingslobby hält die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und die Europäische Menschenrechtskonvention dagegen: Das Asylrecht, bekräftigt Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt, "ist Teil des Völkerrechts und darf nicht nationalstaatlichen Einwanderungsregelungen unterworfen werden". Dass sich die innenpolitischen Sprecher von SPD und Grünen, Dieter Wiefelspütz und Cem Özdemir, am Montag dafür aussprachen, zur Neuregelung der Einwanderung den Konsens mit der Union zu suchen, sieht Burkhardt mit gemischten Gefühlen: Ein Konsens dürfe "nicht auf Kosten des völkerrechtlich garantierten Flüchtlingsschutzes" gehen, warnt er.
Die Einbeziehung Verfolgter in Einwanderungsquoten lehnen die Hilfswerke kategorisch ab. Ein Dorn im Auge ist ihnen auch die im Grundgesetz verankerte Drittstaatenregelung. Sie sei völkerrechtswidrig, sagt AI-Referent Grenz. Denn sie erlaube Abschiebungen von Flüchtlingen in Drittstaaten, ohne dass im Einzelfall geprüft wird, ob diese dort vor weiterer Abschiebung sicher sind.
Nichts einzuwenden haben die Verbände gegen Vorschläge der EU-Kommission, für Massenfluchtbewegungen Konzepte zur vorübergehenden Aufnahme von Flüchtlingen aus Krisengebieten zu entwickeln. Dies dürfe aber, betont DPWV-Asylreferent Harald Löhlein, den unbefristeten Schutz Einzelner vor Verfolgung "allenfalls ergänzen, nicht ersetzen". Schlichtweg falsch ist, so Löhlein und Grenz, das gegen die GFK wiederholt vorgebrachte Argument, individuelle Verfolgung spiele heute nur noch eine nachgeordnete Rolle.