Bremer Nachrichten, 14.09.2000 Die Generäle haben das Sagen Von unserer Korrespondentin Susanne Güsten Der Militärputsch von 1980 in der Türkei wirkt bis heute nach Istanbul. Als am Morgen des 12. September 1980 ein Sprecher des türkischen Staatssenders TRT verkündete, Panzer der Armee hätten alle wichtigen Plätze besetzt und für Ruhe im Land gesorgt, atmeten viele Türken auf. Denn der bisher letzte Militärputsch in Ankara beendete bürgerkriegsähnliche Zustände im Land: Linke und rechte Gruppen bekämpften sich bis aufs Messer, und die Politik bekam die Lage nicht in den Griff. Die Militärs lösten die Parteien auf, steckten viele Politiker - darunter auch den heutigen Ministerpräsidenten Bülent Ecevit - in Internierungslager und ließen insgesamt 650000 Menschen im ganzen Land verhaften. Mehr als 500 wurden zum Tode verurteilt; 50 Häftlinge, zumeist Mitglieder linker Gruppierungen, starben am Galgen. Einer, der damals knapp dem Tode entging, ist der Kommunist Abdülkadir Konuk, der seit elf Jahren in Köln lebt und 20 Jahre nach dem Putsch heimkehren will, aber nicht kann: Die menschlichen und politischen Wunden des Militärputsches sind noch nicht verheilt. Konuk gehörte zur Zeit des Putsches zu den Anführern der kommunistischen Partei TDKP. In den Tagen des Coups war er an einer gewaltsamer Fabrikbesetzung beteiligt. Konuk konnte fliehen, wurde später aber gefasst und 1984 zum Tode verurteilt. Zwei seiner Genossen wurden hingerichtet, er selbst wartete täglich auf den eigenen Hinrichtungstermin. Wegen Herzproblemen in eine Gefängnisklinik eingeliefert, konnte er von Freunden aus dem Krankenhaus geschmuggelt und per Boot nach Griechenland gebracht werden. Seit 1989 genießt er politisches Asyl in Deutschland und lebt in Köln. "Es gibt für mich keinen Grund, hier zu bleiben", sagt Konuk, "aber die Türkei will mich nicht": Das Urteil gegen ihn und viele andere Opfer des Putsches ist bisher nicht aufgehoben worden. "Der 12. September stellte zwar die Sicherheit und Ordnung wieder her, aber er bereitete auch neuen Problemen den Boden", kritisiert der "Milliyet"-Leitartikler Taha Akyol. Nicht zuletzt die ständige Einmischung der Militärs in den politischen Prozess in der Türkei gehört zu den Hinterlassenschaften des Putsches. Seit dem 12. September 1980 ist jedem türkischen Staatsmann klar, was er riskiert, wenn er die mächtigen Generäle herausfordert, die sich als strenge Aufpasser im Kindergarten der politischen Öffentlichkeit verstehen. Im Nationalen Sicherheitsrat lassen die Militärs die gewählte Regierung jeden Monat wissen, was sie von ihr erwarten. Und wenn es den Generälen zu bunt wird, bestellen sie die Chefredakteure der Zeitungen ein. Doch auch wenn die Folgen des Putsches unübersehbar sind: Insbesondere durch die Europa-Ambitionen der Türkei kommt Bewegung in lange Zeit erstarrte Fronten. So wird die Rolle des 12. September für die türkische Politik 20 Jahre nach dem Putsch immer häufiger und offener in Frage gestellt. Zu den Kritikern der damals diktierten Verfassung gehört der neue Staatspräsident Sezer. Doch Sezer geht in seiner Kritik bisher nicht so weit wie Sami Selcuk, der Vorsitzende des Obersten Berufungsgerichtshofes in Ankara. Selcuk wiederholt bei fast jedem öffentlichen Auftritt seine Kritik an der von den Militärs geschriebenen Verfassung: "Komplett wegwerfen."
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