Der Tagesspiegel, 16.09.2000 Sensationsfund Der Schauplatz der biblischen Sintflut Der "Titanic"-Entdecker Robert Ballard hat eine ehemalige menschliche Siedlung im Schwarzen Meer gefunden Susanne Güsten Wer die Sintflut überlebt hat, das ist bekannt: Noah, seine Frau, seine Söhne mit ihren Frauen und je ein Pärchen von allem Vieh, allen Vögeln und allem Gewürm auf Erden - so überliefert es das Alte Testament. Was die Bibel dagegen nicht beantwortet und die Wissenschaft dafür umso mehr interessiert, das ist die Frage, wer von der Sintflut vernichtet wurde. Immerhin sollen diese Menschen so "verderbt" gewesen sein, dass Gott die Flut schickte, um sie auszulöschen. Eine Expedition von Archäologen und Geologen aus den USA glaubt, diesem Geheimnis jetzt einen großen Schritt näher gekommen zu sein. Die von der US-Wissenschaftsgesellschaft "National Geographic" organisierte Expedition gab am Mittwoch die Entdeckung von Überresten einer menschlichen Siedlung im Schwarzen Meer bekannt - das bisher überzeugendste Beweisstück für die These, dass die Überflutung der heutigen Schwarzmeerregion durch das Mittelmeer die historische Vorlage für die biblische Sintflut war. "Dies ist eine unglaubliche Entdeckung", jubelte Expeditionsleiter Robert Ballard von Bord des Forschungsschiffs "Northern Horizon". Ballard, der mit seinem "Institut für Erforschungen" unter anderem schon die Wracks der "Titanic" und des deutschen Kriegsschiffes "Bismarck" fand, leitet ein Wissenschaftlerteam, das im Auftrag von "National Geographic" schon seit Jahren im Schwarzen Meer nach diesem Nachweis forscht. Das Mittelmeer brach sich Bahn An Bord des Expeditionsschiffes sind Wissenschaftler mehrerer amerikanischer Universitäten und Forschungsinstitute sowie ein Vertreter des türkischen Denkmalamtes - und alle sind völlig aus dem Häuschen. "Dies ist eine bedeutende Entdeckung, mit der die Kulturgeschichte dieser Schlüsselregion zwischen Europa, Asien und dem antiken Nahen Osten neu geschrieben werden wird", glaubt Fredrik Hiebert von der University of Pennsylvania, der Chef-Archäologe des Projekts. Dass sich die Sintflut irgendwo in dieser Region abgespielt haben muss, war schon immer klar: Der Berg Ararat, auf dem die Arche nach der Flut landete, liegt im äußersten Osten der Türkei. Doch wo genau und vor allem wann "die Wasser so sehr auf Erden (wuchsen), dass alle hohen Berge unter dem ganzen Himmel bedeckt wurden", darüber gab es bisher nur Theorien. Die bisher konkreteste wissenschaftliche These entwickelten die amerikanischen Geologen William Ryan und Walter Pitman von der Columbia University. In ihrem 1997 erschienenen Buch "Noahs Flut" wiesen die beiden Wissenschaftler anhand von seismischen Profilen und Sedimenten die Existenz einer gefluteten Landschaft am Grunde des Schwarzen Meeres vor der türkischen Küste nach. Ihrer These zufolge lebten bis vor etwa 7500 Jahren Menschen dort - bis die große Flut über sie hereinbrach. Den Erkenntnissen der Geologen zufolge lebten die Bewohner dieser Siedlungen an einem Süßwassersee, der durch einen breiten Streifen Land vom Mittelmeer getrennt war. Seit dem Ende der letzten Eiszeit vor etwa 12 000 Jahren wuchs aber der Druck des Mittelmeeres auf diesen Landstreifen, weil das Meer durch Schmelzwasser aus den Gletschern immer mehr anschwoll. Um das Jahr 5500 vor Christus war es so weit: Das Mittelmeer brach sich mit riesiger Gewalt eine Bahn durch den Landstreifen und ergoss sich tosend und donnernd in das tiefer gelegene Land um den Süßwassersee, an dessen Ufer die jetzt gefundene Siedlung lag. Ein Wasserfall von einer mehrfachen Höhe und einem vielfachen Volumen der Niagara-Fälle stürzte über die Gegend herein und fegte alles davon. Die Bahn, die sich das Meer damals brach, kennen wir heute als die Bosporus-Meerenge, die überfluteten Landschaften als das Schwarze Meer. Letztes Glied der Beweiskette Die These erfreute sich in wissenschaftlichen Kreisen großer Anerkennung, doch für die Annahme, dass dieses Naturereignis auch den historischen Kern der großen Flut darstellt, die im Alten Testament wie auch in griechischer und römischer Mythologie ihren Niederschlag fand, fehlte noch ein Glied in der Beweiskette: der Nachweis, dass vor der Katastrophe tatsächlich Menschen in der Gegend lebten. Nur wenn Menschen in der Gegend gelebt haben, die von den Fluten erfasst wurden, und es Menschen gegeben hat, die in sicherer Höhe Zeuge der gewaltigen Naturkatastrophe wurden, konnte es von dieser Stelle eine Überlieferung wie die von der Sintflut gegeben haben. Schon im vergangenen Jahr kam die National-Geographic-Expedition diesem Nachweis etwas näher, als sie vor der türkischen Küste die Spuren eines früheren Süßwassersees fand. Gesteinsproben bestätigten, dass der See tatsächlich vor rund 7500 Jahren vom Meer geschluckt wurde. Und der Fund eines Gesteins, mit dem im Nahen Osten damals Werkzeuge gefertigt wurden, bestätigte die Forscher schon damals in ihrer Hoffnung auf menschliche Spuren. Trotzdem waren die Expeditionäre nicht darauf vorbereitet, welche Klarheit ihr unbemanntes Tauchgerät "Argus" nun aus 100 Meter Tiefe mit an die Oberfläche brachte: Ein ganzes Haus komplett mit Balken und herumliegendem Steinwerkzeug filmte die "Argus" rund 20 Kilometer vor der türkischen Küste bei Sinop. Weil die Fundstätte in den sauerstofflosen Tiefen des Meeres liegt, ist sogar das Holz erhalten. "Die Aufregung an Bord ist unglaublich", berichtete ein Expeditionsteilnehmer: "Der Schauplatz der Sintflut ist entdeckt."
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