Die Welt, 16.09.2000 Grüne streiten erneut über Rüstungsexporte Analyse aus dem Bundestagsbüro von Joschka Fischer: Menschenrechte allein kein Kriterium Von Wulf Schmiese Berlin - Bei den Grünen ist erneut ein Streit um Rüstungsexporte ausgebrochen. Anlass zur Unruhe gaben zwei Analysen, die aus dem Umfeld von Bundesaußenminister Joschka Fischer sowie der Verteidigungspolitikerin Angelika Beer stammen und in der Berliner "Tageszeitung" auszugsweise veröffentlicht wurden. In den zwei internen Schreiben, die der WELT in voller Länge vorliegen, wird über neue Bedingungen für Rüstungsexporte nachgedacht, Waffenlieferungen könnten auch als Mittel zur politischen Einflussnahme genutzt werden. "Auf Dauer werden die Menschenrechte als Hauptkriterium nicht tragen", schreibt Reinhard Weißhuhn, der in Fischers Abgeordnetenbüro arbeitet. "Im Moment dienen sie in der Praxis eher als Versuch, möglichst viele Rüstungsgeschäfte verhindern zu können." Brisant sind diese Äußerungen, weil Fischer als Mitglied des geheim tagenden Bundessicherheitsrats über Exportgenehmigungen für Waffen ins Ausland mitentscheidet. Seine Gegenstimme, etwa zum Export einer Munitionsfabrik in die Türkei, wurde von den SPD-Mitgliedern im Sicherheitsrat überstimmt. Der Zustand der Grünen in dieser Frage wirke "nach außen außerordentlich unbefriedigend, defensiv bis hilflos", so Weißhuhn, dessen Aussage, hier seine "rein persönliche Sicht" dargelegt zu haben, in der Fraktion angezweifelt wird. Er bezeichnet die auf Drängen der Grünen geänderten Richtlinien für den Rüstungsexport als "Placebo für die grüne Seele, das im Härtetest der Koalition nicht greift". Um künftig vorgezeichnete Niederlagen zu vermeiden, müssten Rüstungsexporte als Teil deutscher Interessenpolitik gesehen werden. In der anderen fraktionsinternen Analyse wirft Angelika Beers Mitarbeiter Roland Kaestner die Frage nach einer "politisch motivierten Steuerung des Rüstungsexports" auf, was nicht zwangsläufig eine Exportliberalisierung bedeute. Die menschenrechtspolitische Sprecherin der Grünen, Claudia Roth, kritisiert solche Überlegungen als gezielte "Attacke auf das außenpolitische Konzept der Grünen". Besonders das Papier aus dem Büro Fischers sei "absolut unnütz und kontraproduktiv", sagte Roth der WELT. Fischer selbst habe stets gesagt, Menschenrechte müssen ein besonders herausragendes Moment für Deutschlands restriktive Rüstungsexportpolitik sein. "Deshalb kann ich nicht verstehen, warum aus seinem Umfeld nun Überlegungen kommen, die diesen Anspruch konterkarieren", sagte Roth. Fischer habe die Menschenrechte stets als Argument für Deutschlands Kriegseinsatz im Kosovo genannt. "Dies Kriterium nun beim Rüstungsexport anzuzweifeln ist konfus und unlogisch", so Roth. "Das widerspricht grüner Politik."
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