Stuttgarter Zeitung, 16.9.2000 Die Zwickmühle am Kaspischen Meer Die Verhandlungen über die Zukunft des Kaspischen Meers mit seinen Ölvorkommen sind schon vor Beginn gescheitert. Turkmenistan und der Iran blieben der Runde der Anrainerstaaten einfach fern. Von Elke Windisch, Moskau Das Kaspische Meer, auf dessen Boden die weltweit größten Öl- und Gasvorkommen lagern, war bis 1991 faktisch ein Binnensee. Seit dem Ende der Sowjetunion aber tobt zwischen den nunmehr fünf Anrainerstaaten - Russland, Kasachstan, Turkmenistan, Aserbaidschan und Iran - um die Grenzziehung ein Kampf bis aufs Messer. Bis zum Machtantritt Putins galt, dass jeder 20 Prozent bekommt. Erste Blessuren bekam die Konstruktion allerdings schon im Sommer vor zwei Jahren. Damals unterzeichneten Boris Jelzin und Kasachenpräsident Nursultan Nasarbajew ein Abkommen, mit dem die Nordhälfte des Kaspischen Meers - auch ziemlich genau 50 Prozent der Gesamtfläche - zu gleichen Teilen an beide Staaten geht. Je 20 Prozent, so das Kalkül Moskaus, sollten an Turkmenistan und Aserbaidschan gehen. Teheran dagegen solle mit jenen zehn Prozent abgespeist werden, die Iran nach der alten Grenzziehung zustehen. Im 19. Jahrhundert war diese mit dem Zarenreich ausgehandelt worden. Noch im Mai, bei Putins Besuch, hatte der turkmenische Staatschef Sapurmurat Nijasow seinem Gast versichert, dass er damit leben könne. Doch für diesen Monat hat sich der iranische Präsident Muhammad Khatami bei ihm angesagt. Turkmenistan, das die Islamische Republik für seinen Pläne gewinnen will, Gas und Öl über eine Pipeline zum Persischen Golf zu exportieren, kippte daher bereits im Vorfeld der Visite um und wirft Moskau die Diskriminierung Irans vor. Ähnlich steht es auch in einer persönlichen Botschaft für Khatami, die Nijasow überbringen ließ. Ansprüche Irans auf ein Fünftel der See sollen auch im Abschlusskommuniqué des Besuches festgeschrieben werden. Moskau hat sich den Ärger selbst eingebrockt. Jelzin, von dem der ursprüngliche Teilungsplan stammte, werkelte beharrlich an einer Achse Russland-Iran-Turkmenistan, der sich auch die Kaukasusrepublik Armenien anschließen wollte. Putin dagegen, der gleich in seinen ersten Amtstagen den Sicherheitsrat zusammentrommelte, um ein geheimes Papier zu russischen Interessen in der Region zu verabschieden, setzt auf Aserbaidschan. Dessen Regierung in Baku aber beansprucht zwei Ölfelder, die bei der von Russland vorgeschlagenen Teilung nur zur Hälfte an Aserbaidschan gehen würden. Viktor Kaljuschnij, Putins Sonderbeauftragter für die Kaspische Region, hat signalisiert, darauf eingehen zu wollen. Einerseits ist der Sinneswandel verständlich, andererseits eine Entscheidung zwischen Pest und Cholera: Moskau kann den weiteren Vormarsch der USA und der Türkei in Richtung Kaukasus und Kaspischem Meer nur stoppen, wenn es das pro-türkische Aserbaidschan als strategischen Verbündeten gewinnt. Davon hängt teilweise auch das Ende des Tschetschenienkrieges und die Normalisierung der Beziehungen zu Georgien ab. Mit dieser diplomatischen Linie verprellt der Kreml aber nicht nur die christlichen Glaubensbrüder in Armenien, das sich seit 1988 mit Aserbaidschan um die Exklave Berg-Karabach in den Haaren liegt, sondern auch die ohnehin extrem schwierigen Turkmenen. Das wiederum ist ein Luxus, den Putin sich auf Grund der Entwicklungen in Zentralasien nicht leisten kann. Islamische Extremisten dringen seit Anfang August aus Tadschikistan in Usbekistan und Kirgisien ein und haben den dortigen Regierungstruppen schwere Verluste beigebracht. Die Kämpfe, die beide Staaten bereits zwang, Russland um militärische Hilfe zu bitten, greifen nun auf Südkasachstan über. Anfangs rieb sich der Kreml die Hände: Der Konflikt der islamischen Opposition mit den Moskauer Ex-Vasallen war bisher das beste Faustpfand für deren Loyalität. Nun könnte der Konflikt die jungen Staaten hinwegfegen. Akuten Handlungsbedarf sieht Russland zudem, weil den zentralasiatischen Islamisten inzwischen der Schulterschluss mit den tschetschenischen Separatisten gelang. Beide Gruppen werden aktiv von den Taliban unterstützt. Entlastung würde daher nur ein Ende der über zwanzigjährigen Wirren in Afghanistan bringen.
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