junge Welt, 16.09.2000 In vorderster NATO-Front Die Schröder-Regierung in der Rolle des ideologischen Antreibers eines neuen Krieges gegen Jugoslawien Bundeskanzler Gerhard Schröder übernahm auf dem G-8-Gipfel in Okinawa am 22./23. Juli bei der medialen Vorbereitung eines neuen NATO-Schlags gegen Jugoslawien eine führende Rolle. Gemeinsam gingen die Teilnehmer soweit zu erklären: »Wir sind sehr besorgt über die Beweggründe und die möglichen Folgen einer Verfassungsänderung in der Bundesrepublik Jugoslawien.« Denn, so die Erklärung, »mit 650 000 Einwohnern zählt Montenegro weniger als ein Zehntel der Bevölkerung Serbiens. Durch die Verfassungsänderung schwindet der politische Einfluß der vom Westen unterstützten Montenegriner gegen Null.« Der deutsche Bundeskanzler Schröder ging einen Schritt weiter als seine Kollegen. Er »sei sich mit dem italienischen Ministerpräsidenten Amato einig, ein Wahlergebnis für Milosevic nach dieser Verfassungsänderung nicht anzuerkennen« (FAZ vom 24. Juli). »Was er (Milosevic) dort als Verfassungsänderung durchgesetzt hat, ist ein Ermächtigungsgesetz.« Wie sind derartige Äußerungen zu verstehen? Sind sie nicht eine direkte Aufforderung an die Adresse sowohl der rechten Kräfte in Jugoslawien als auch der rivalisierenden Verbündeten Deutschlands, nicht auf inen »demokratischen« Machtwechsel in Jugoslawien zu setzen, sondern unmittelbar Kurs zu nehmen auf Putsch in Serbien und Sezession und Bürgerkrieg in Montenegro? Für dieses Szenario versuchte Schröder, ergänzend diplomatische Vorarbeit bei der Einbindung Rußlands zu leisten. Er ließ seinen außenpolitischen Berater Michael Steiner in Okinawa als Spindoktor auftreten, um dem Inhalt seines Gespräches mit Putin den richtigen »spin«, d. h. »Dreh« zu geben. In den Nachrichtenagenturen kam das so an: »Der jugoslawische Staatspräsident Slobodan Milosevic müsse erkennen, daß der russische Präsident Wladimir Putin kein Mentor oder Unterstützer mehr für ihn sei, sagte der außenpolitische Berater von Bundeskanzler Gerhard Schröder«. (AP am 22. Juli) »Nach Angaben der deutschen Regierung ist Rußlands Präsident Wladimir Putin bereit, mit den anderen G-8-Staaten darauf hinzuwirken, daß die Lage in dem Balkanland nicht unkontrollierbar wird.« (Reuters am 22. Juli). »Aus der russischen Delegation gab es dazu keine Stellungnahme. Die Darstellung Steiners wurde jedoch nicht dementiert.« (dpa vom 23. Juli). Für diese halbe Komplizenschaft bekam Putin von Schröder ein paar schöne Worte: Okinawa sei der »Gipfel der vollen Integration Rußlands«, ein vages Versprechen: Er (Schröder) gehe »nicht unbedingt davon aus«, daß in Zukunft vor dem G-8-Treffen noch ein formelles Treffen der alten G-7 notwendig sein werde (dpa vom 23. Juli) und ein kleines Almosen: Bis 2016 werden acht Milliarden Mark Rückzahlungen gestreckt. Die bereits fallengelassene Moskauer Forderung nach einem Teilerlaß der 43 Milliarden Dollar (gut 84,7 Milliarden Mark) Altschulden der einstigen Sowjetunion wurde von Putin in Okinawa gar nicht erst wieder aufgegriffen, wie Sprecher der deutschen und japanischen Regierungen bestätigten. Moskau ist nach Angaben aus deutschen Regierungskreisen derzeit mit rund 170 Milliarden Dollar im Ausland verschuldet. Davon entfallen 57 Milliarden auf die staatlichen Gläubiger, davon wiederum 27,5 Milliarden auf Deutschland. Die deutsche Sonderrolle in Okinawa beruht auf zwei spezifisch völkischen Prämissen deutscher Balkanpolitik, auf der bedingungslosen Fixierung Serbiens und jeglicher »jugoslawischer Kombinationen« als gegen die Interessen Deutschlands gerichtet und auf der Stützung DM-höriger antiserbischer, antijugoslawischer Vasallenregime. Als Kronzeugen dieser Linie ließ die Frankfurter Allgemeine Zeitung am Vorabend von Okinawa den kroatischen Präsidenten Mesic zu Wort kommen. »Der Westen irre gewaltig, sagte der kroatische Präsident Mesic, wenn er vom Fall Milosevics und einem politischen Wechsel in Serbien alles erwarte. Das Problem sei eben nicht nur Milosevic, sondern die ganze Art des politischen Denkens, die sich in den letzten fünfzehn Jahren bei den Serben entwickelt habe und das noch bei den Wahlen von 1997, selbst wenn man mögliche Wahlmanipulationen berücksichtige, als Mehrheitsmeinung manifest geworden sei.« Dagegen empfiehlt sich Kroatien als deutsch-europäischer Hauptvasall mit Einfluß in Montenegro und Albanien: »Die neue Führung in Kroatien stellt dem >Serbozentrismus< der westlichen Balkan- und Jugoslawienpolitik das Konzept einer wirksamen Rolle Kroatiens als Vor- und Leitbild westlicher demokratischer Werte im ganzen Balkan gegenüber. Kroatien, so Präsident Mesic, habe die einseitige Stützung der bosnischen Kroaten aufgegeben und engagiere sich in ganz Bosnien, aber sogar in Montenegro und Albanien. Das, so Mesic, sei eine moderne europäische Rolle und habe nichts zu tun mit dem alten Anspruch des >Antimurale Christianitatis< wie ihn Tudjman erhoben habe. Dafür aber brauche man keine neuen jugoslawischen Kombinationen.« Klaus von Raussendorf
|