junge Welt, 16.09.2000 Interview »Eine Abschaffung des Vetorechtes in der UNO ist illusorisch« Ein Gespräch mit Norman Paech zur Perspektive der UNO *** Der Völkerrechtler Norman Paech ist Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg und Vorsitzender des Europäischen Tribunals über den NATO-Krieg gegen Jugoslawien *** F: Im Vorfeld der UN-Generalversammlung fand in New Yo rk vergangene Woche ein Außerordentlicher Millenniumsgipfel statt, auf dem die Rolle der Vereinten Nationen im kommenden Jahrhundert diskutiert wurde. Welche Erwartungen hatten Sie an so ein Treffen? Wie bei allen derartigen Millenniumstreffen gab es Fensterreden über die Bedeutung der UNO. Man lobte sie, stellte ihre Bedeutung und ihre Alternativlosigkeit dar. Wichtig wäre, daß diejenigen, die diese Fensterreden hielten, auch wirklich daran glauben, was sie sagten und sich danach verhalten. Denn es gibt wirklich keine Alternative. Und wenn diese Staaten auch begreifen würden, daß das zentrale Problem nicht etwa eine Administration in New York oder in einer anderen Stadt ist, die ohnehin nicht effektiv arbeitet, sondern daß es im wesentlichen die Großmächte sind, die die UNO immer wieder dafür benutzen, ihre Interessen durchzusetzen, dann wäre schon viel erreicht. Wenn sich diese Erkenntnis nicht einstellt, dann ist die UNO zum Scheitern verurteilt. Dazu ein Beispiel: Der UNO ist in den vergangenen Jahren eine wirklich erstaunliche Entwicklung im Rahmen des Völkerstrafrechts gelungen. Die Verabschiedung eines Statuts über einen Weltstrafgerichtshof in Rom im Jahr 1998. Eine Sache, an der die Internationale Rechtskommission (ILC) der UNO seit Jahren gearbeitet hat. Das Statut ist unter erheblicher Teilnahme aller großen Mächte, aber auch der kleinen verabschiedet worden. Aber dann, als es soweit war, haben die USA eine Ratifizierung kategorisch verweigert. Hier zeigt sich nicht etwa ein Problem der Administration oder der kleinen Staaten, sondern im wesentlichen der großen Mächte, die ihre Interessen immer wieder über die der Völkergemeinschaft stellen. F: ... vor allem über die der Dritte-Welt- und Schwellenländer. Im April hat in Havanna der erste Gipfel der G-77 stattgefunden. Damit begannen sich diese Länder vorsichtig von den Großmächten zu emanzipieren. Ist das gewissermaßen der Anfang vom Ende der UNO? Das glaube ich nicht, denn der Südgipfel war nicht der erste Versuch einer Emanzipation von den dominierenden Großmachtinteressen. Die G-77 haben sich ja bereits 1964 im Rahmen der UNCTAD gegründet. Zum ersten Mal versuchten sie zehn Jahre später, mit der sogenannten »Charta für die ökonomischen Rechte und Pflichten der Staaten« und einem Aktionsprogramm dem weltweiten Freihandelsabkommen GATT eine alternative Weltwirtschaftsordnung entgegenzusetzen. Das war für sie so etwas wie der zweite Versuch der Dekolonisation. Nach der ersten, der politischen, galt es in den 70er Jahren mit diesem zweiten Ansatz gewissermaßen, die ökonomische Emanzipation zu erreichen. Dies ist allerdings an dem Widerstand der zentralen Industriemächte gescheitert, die sich diesem Versuch verweigert haben. Im Rahmen des GATT konnten sie ihre neoliberale Politik gegen diese Länder durchsetzten, seit 1995 mit der WTO und zunehmendem Erfolg. Die von dieser Politik betroffenen Länder wissen sehr genau, daß ihnen nichts anderes übrigbleibt als die UNO. Daß sie in der UNO indes nichts bewirken können, wenn sie mit 50 oder 100 Stimmen reden, zeigt die Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte. Ob die politische Einheit in diesem Zusammenhang erreicht wird, entscheidet, ob der dritte Ansatz einer Dekolonisation erfolgreich sein wird: die Entschuldung der Entwicklungsstaaten. F: Die Verschuldung ist ein grundsätzliches Problem. Müßten vor allen administrativen Bemühungen nicht zunächst diese Dependenzverhältnisse zwischen den Industriestaaten und der Dritten Welt ausgeräumt werden? Auch dort haben wir es mit einem jahrzehntelangen Disput zwischen den armen und reichen Ländern zu tun. Zunächst wurde eine Diskussion um die Rohstoffabhängigkeit geführt, nun ist das dringendste Problem die Entschuldung. Erinnern Sie sich: Die Dekolonisation, das heißt die politische Unabhängigkeit, ist nicht durch die UNO gekommen. Die haben sich die abhängigen Länder selber gegen die alten Kolonialmächte erkämpfen müssen. Allerdings haben sie die UNO später sehr gut einsetzen und ihre juristische und politische Legitimation über die UNO einholen können. Insofern glaube ich, daß es zunächst einmal der Eigeninitiativen und der eigenen Kraft dieser Länder bedarf, um sich von diesen Schulden zu befreien - eben auch mit dem Mittel der Konfrontation. Dabei sollten sie sich auch der UNO bedienen und ihre zahlenmäßige Stärke ausspielen, um Folgeprobleme auszuräumen. Die Erfahrung lehrt uns doch, daß man die Entschuldung von den Industrieländern nicht erbetteln kann. Dieses Ziel muß man sich erkämpfen. F: Welche Perspektive geben Sie diesem Einigungsprozeß, auch im Hinblick auf Konferenzen wie den Südgipfel? Das ist schwierig. Auch hier konnte man wieder nur Fensterreden hören - im Handeln zeigen sich bislang keine Konsequenzen. Fidel Castro hat in seinen Stellungnahmen auf dem Südgipfel auf die zentralen Punkte hingewiesen. Nur wenn sich die marginalisierten Staaten einigen, werden die Ölländer, die Kupferländer, die Kakaoländer, die Rohstoffländer, alle armen Länder wieder ihre eigenen Interessen wahren können. F: Die Dependenz der Dritten Welt scheint aber nicht zwangsläufig zu einem Bündnis zu führen. Was wäre denn der gemeinsame Nenner? Der gemeinsame Nenner wäre aus der Geschichte der Abhängigkeit von den Industrieländern abzuleiten. Diese Länder müßten versuchen, sich sowohl im Ökonomischen wie im Politischen und im Militärischen von der Fremdbestimmung zu lösen. Um das zu erreichen, müßten sie eine Kooperation untereinander aufbauen und diese den alten Mächten entgegenstellen. Sie werden deren Kooperation nicht geschenkt bekommen. Dies wird nur durch eine neue Politik - auch eine konfrontative Politik - erreicht werden. Besonders im zentralen Bereich der Rohstoffsicherung muß eine Gegenmacht aufgebaut werden, indem sich die produzierenden Staaten dem endlosen Bedarf der Industriestaaten verweigern. Das ist in einem schmalen Bereich im Rahmen der Ölkrise 1972 bis 1974 gelungen. Das auf erweiterter Stufenleiter noch einmal zu versuchen, würde nicht die gleichen Prozesse und Ereignisse zeitigen. Aber der Weg führt nur über die Stärkung der eigenen Verhandlungsmacht. F: Gerade im Sektor der Ölpolitik findet doch eine Bewegung statt. Der Präsident Venezuelas, Hugo Chávez, dessen Land derzeit die OPEC-Präsidentschaft innehat, ist nach Libyen und in den Irak gereist, um der Isolation dieser ölfördernden Staaten etwas entgegenzusetzen. Die nicht-ölproduzierenden, aber ölkonsumierenden Länder haben es immer wieder geschafft, zwischen die ölfördernden Länder Spaltpilze zu setzen. Man hat Libyen ebenso isoliert, wie man den Iran isoliert hat und immer noch isoliert. Mit dem Irak läuft es ähnlich. Diese Politik der Spaltung und Dissoziation der Länder, die eigentlich ein einheitliches Angebot machen können, ist sehr erfolgreich gewesen. Wenn es diesen Ländern und den anderen Anbietern nicht gelingt, das zu überwinden und untereinander Einigkeit herzustellen, dann wird es in der Tat schwierig, den eigenen Interessen Nachdruck zu verleihen. F: Eine Reform der UNO als einziger Institution, die alle Interessen vereint, ist also dringend notwendig. Wie steht es aber um die Möglichkeit einer Demokratisierung der Institution UNO? Die UNO ist eigentlich, wenn man sich die Wurzeln und ihre Struktur ansieht, eine zutiefst demokratische Institution. Es gilt nämlich das Prinzip »Ein Staat - eine Stimme«. F: Mit dem Zusatz »Ein Vetorecht«, der die demokratische Grundstruktur unterhöhlt. Es ist zweifelsohne so, daß im Sicherheitsrat dieses Verfahren, das den fünf Ständigen Mitgliedern USA, Großbritannien, Frankreich, China und Rußland ein Vetorecht bei Abstimmungen einräumt, zur Debatte gestellt werden muß. Nur eines wird auch klar sein: Eine Abschaffung des Vetorechtes in der UNO ist illusorisch. Das werden weder die USA noch die Russen, noch die Chinesen, Franzosen oder Engländer wollen. Man muß also versuchen, das Vetorecht zu erweitern. Ein Vorschlag, der schon 1945 auf der Tagesordnung stand, war zum Beispiel, daß diejenigen Länder sich nicht an einem Veto oder einer Abstimmung beteiligen dürfen, die in einen Konflikt unmittelbar verwickelt sind. Diese Neuerung wäre unter Umständen durchzusetzen. Es gibt andere Vorschläge, die im Falle des Gebrauches des Vetorechtes eine intensive Begründung fordern. Am wahrscheinlichsten ist wie gesagt aber, den Kreis der vetoberechtigten Staaten zu erweitern. Man wird natürlich nicht dadurch Verbesserungen herbeiführen, daß man nur Japan und die Bundesrepublik mit einbezieht. Eine Demokratisierung würde bedeuten, auch Lateinamerika, Afrika und Asien dieses Recht zuzugestehen. Es gibt aber auch andere Probleme. Gerade hat die UNO wieder angekündigt, daß die Friedenstruppen reformiert werden müßten. In diesem Bereich liegt sehr vielen im argen. Das Interessante daran: Gerade die Friedenstruppen, sind das erfolgreichste Instrument der Friedenssicherung, obwohl sie nicht in der UNO-Charta verankert sind. Demgegenüber sind die Eingreiftruppen nach Artikel 42 von den großen Mächten vollständig vernachlässigt worden, weil sie die Kontrolle über die militärischen Mittel behalten wollen. Hier besteht der Vorschlag - in der »Agenda für den Frieden« des ehemaligen Generalsekretärs Boutros-Ghali -, die Vorschriften der UNO- Charta zunächst durchzusetzen, und der UNO selbst Eingreiftruppen unter eigenem Oberkommando zuzugestehen. Doch das verweigern die imperialen Mächte, weil sie keine Einschränkung ihres Machtradius akzeptieren. Dazu ein letzter Punkt: Man muß wissen, daß das derzeitige Budget der UNO nicht größer ist als das der Polizei von New York. Mit solch einem Budget kann man diese Weltaufgaben nicht durchführen, besonders, wenn ein Drittel des geplanten Budgets schlichtweg nicht gezahlt wird. Das ist ein ganz zentrales Problem. Man kann nicht die UNO auf der einen Seite austrocknen, um auf der anderen Seite darüber zu schimpfen, daß sie ineffektiv ist. F: Welche Perspektive sehen Sie also für die UNO? Wie gesagt: Sowohl für die G-77 wie auch für die großen Länder gibt es keine Alternative. Die UNO ist das einzige Instrument eines kollektiven Sicherheitssystems, was immer allerdings auch nur so weit funktionieren wird, wie die mächtigsten Staaten sich den Prinzipien und den Maximen dieses Systems unterstellen. Es gilt zu verhindern, daß diese Maximen der Gleichberechtigung und friedlichen Streitbeilegung geschleift werden, während die atlantische Hegemonie ihre Interessen mit den eigenen Institutionen wie der der Weltbank, dem IWF oder der NATO über die UNO hinweg durchsetzt. Das Gespräch führte Harald Neuber
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