Frankfurter Rundschau, 21.09.2000 Türkei bei Rüstungsexport an der Spitze Regierung genehmigte Ausfuhr von deutschem Kriegsgerät für sechs Milliarden Mark Von Helmut Lölhöffel Die Bundesregierung hat im vorigen Jahr die Ausfuhren von Kriegswaffen und anderen Rüstungsgütern im Wert von sechs Milliarden Mark genehmigt. Fast ein Drittel davon geht an die Türkei. Von mehr als 9 000 Einzelanträgen wurden nur 85 mit einem Gesamtvolumen von etwa zehn Millionen Mark abgelehnt. BERLIN, 20. September. Zum ersten Mal hat die Bundesregierung einen Bericht über Rüstungsexporte veröffentlicht. Damit folgte sie einer Zusage aus dem rot-grünen Koalitionsabkommen. Bundeswirtschaftsminister Werner Müller (parteilos) erklärte zur Vorlage des Jahresberichts für 1999: "Damit schafft die Bundesregierung nie dagewesene Transparenz ihrer Rüstungsexportpolitik". Die Genehmigungen würden "restriktiv" gehandhabt und berücksichtigten die Menschenrechtssituation in den Empfängerländern. Dieser Kommentar des Ministers lässt sich anhand der im Report enthaltenen Zahlen nicht belegen. Denn an der Spitze steht die Türkei. Sie beantragte Güter im Gesamtwert von 1,9 Milliarden Mark, deren Ausfuhr genehmigt wurde. Hauptsächlich handelte es sich um Kriegsschiffe. An zweiter Stelle der Käufer standen die USA mit einem Volumen von 645 Millionen Mark, davon mehr als die Hälfte Pistolen, Gewehre und Maschinengewehre. Danach folgen Italien (508 Millionen Mark , überwiegend Kriegsschiffe), Israel (477 Millionen Mark, ein U-Boot und Teile für Kriegsschiffe) und die Vereinigten Arabischen Emirate (337 Millionen Mark, mehr als die Hälfte Panzerfahrzeuge). Aber auch die Schweiz, Frankreich, Südkorea, Spanien, Österreich, Nigeria (119 Millionen Mark, Flugzeugteile), Großbritannien, Kanada und Norwegen wurden beliefert. 9 868 Ausfuhrgenehmigungen wurden erteilt. 85 Anträge wurden abgelehnt, die betreffenden Länder werden im Bericht nicht genannt. Tatsächlich ausgeliefert wurden im vergangenen Jahr Kriegswaffen im Wert von 2,85 Milliarden Mark, wobei Israel vor der Türkei an der Spitze lag. Die FDP-Bundestagsabgeordnete Sabine Leutheusser-Schnarrenberger kritisierte, die neuen Richtlinien für Rüstungsexporte hätten sich als "wertlos" erwiesen, weil im Grenzfall der Türkei "wie früher entschieden wurde". Der Hinweis auf Menschenrechte habe sich "als Beiwerk entpuppt". Sie veröffentlichte die Antwort der Regierung auf eine parlamentarische Anfrage nach der "menschenrechtlichen Situation in der Türkei", in der auf den im Juni publizierten Menschenrechtsbericht hingewiesen wurde. "Darin sind Foltervorwürfe dokumentiert", sagte die Abgeordnete und warf der Bundesregierung vor, "hieraus keine Schlüsse zu ziehen". Auch mit der Ausfuhrgenehmigung für eine Munitionsfabrik in die Türkei setze sich die Regierung "über alle vorliegenden Erkenntnisse hinweg", sagte Leutheusser-Schnarrenberger der FR. Einer Antwort auf die Frage, ob die Bundesregierung "hinreichenden Verdacht" für systematische Menschenrechtsverletzungen in der Türkei sehe, wich das Wirtschaftsministerium aus.
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