Ostsee-Zeitung, 21.09.2000 Kirchenasyl 35-Jährigem droht Abschiebung Ein 35-jähriger Türke hat in einer Kirche in der Hansestadt Rostock Schutz vor Abschiebung gefunden. Nach Angaben seines Anwalts, wurde ein erster Asylantrag abgelehnt. Rostock (OZ) Bereits seit einem halben Jahr gewährt die Innenstadtgemeinde unbemerkt von der Öffentlichkeit einem jungen Mann Kirchenasyl. Den genauen Ort des Aufenthalts hält die Gemeinde auch auf Wunsch des Türken geheim. "Mein Mandant ist verängstigt. Die Isolation macht ihm zu schaffen", sagt Rechtsanwalt Frank Ivemeyer. Er will eine Wiederaufnahme des Asylverfahrens erwirken. Der Rostocker Anwalt hat den Fall recherchiert, er kennt die bittere Geschichte des türkischen Geschäftsmannes. Als Mitglied einer verbotenen linksgerichteten Partei wurde der 35-Jährige mehrmals in seiner Heimat verhaftet und gefoltert. Schließlich ist er zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Auf Anraten seiner Anwälte tauchte er unter. Fünf Jahre lebte er im Untergrund. 1999 verließt er die Türkei. Über Griechenland gelang ihm die Flucht nach Deutschland. Hier hoffte er auf Anerkennung als politischer Flüchtling. Der Asylantrag wurde aber mit Hinweis auf die so genannte Drittstaatenregelung ohne genaue Prüfung abgelehnt. "Der griechische Geheimdienst hat den deutschen Behörden mitgeteilt, dass mein Mandant bereits in Griechenland einen Asylantrag gestellt hat", sagt Ivemeyer. Der Türke tauchte erneut unter und fand Zuflucht in Rostock. Auch in Griechenland müsse der 35-Jährige aufgrund seiner politischen Vergangenheit um sein Leben fürchten, betont der Anwalt. Jeden Tag besuchen Christian Heydenreich und seine Freunde von der Studentengemeinde den Türken in seinem Unterschlupf. "Wir kaufen für ihn ein, bringen ihm Zeitungen und lernen mit ihm deutsch", erzählt der 24-jährige Theologie-Student. Die Studenten haben sich bei der Kirchgemeinde dafür stark gemacht, dem Türken Asyl zu geben. "Wir wollen, dass der Fall noch einmal aufgerollt wird", meint Heydenreich. Rechtsanwalt Ivemeyer hat erreicht, dass sein Mandant einen Asylfolgeantrag stellen konnte. Jetzt hoffen Anwalt und Kirchgemeinde, dass dieser zugelassen wird. "Dann würde mein Mandant bis zu einer endgültigen Entscheidung in Deutschland geduldet und das Kirchenasyl könnte aufgehoben werden." Die evangelisch-lutherische Landeskirche Mecklenburg steht hinter den Rostockern. "Wann immer Kirchenasyl gewährt wird, unterstützen wir die Gemeinden. Wir wollen, dass jeder Fall fair geprüft wird", sagt Andreas Flade, Oberkirchenrat der Landeskirche. In den vergangenen acht Jahren gewährten Gemeinden in Mecklenburg viermal Kirchenasyl. Neben den Rostockern bietet derzeit die evangelische Gemeinde in Crivitz einem Flüchtling Schutz vor dem Zugriff der Polizei. Seit vier Jahren lebt hier ein 29-jähriger Armenier mit der ständigen Angst vor Abschiebung. Aufsehen erregte im Mai 1997 ein Fall in Lübeck. Pastor Günter Harig gewährte einer algerischen Familie Kirchenasyl in der Marienkirche. Kurze Zeit später brannte die St.-Vicelin-Kirche in Lübeck. Der Brandanschlag galt Pastor Harig. Sein Name und zwei Hakenkreuze wurden kurz vor dem Anschlag auf die Kirchenmauer gesprüht. SIMONE GAU
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