junge Welt, 22.09.2000 Können Flüchtlinge sich organisieren? jW fragte Christopher Nsoh, Sprecher der Rathenower Flüchtlinge F: In Rathenow haben sich Flüchtlinge zusammengetan, um den Kampf für ihre Rechte zu organisieren. Wie ist es zu dieser Selbstorganisation gekommen? Anfang Februar diesen Jahres haben wir das erste Memorandum geschrieben, in dem wir unser Leben, unsere Probleme und unser Leiden als Asylbewerber beschrieben und politische Forderungen gestellt haben. Am 26. April haben wir das zweite Memorandum erstellt. Ein drittes haben wir dann an den Bundestag geschickt. Bei dieser Arbeit haben wir gemerkt, daß es überhaupt keine Struktur unter den Flüchtlingen gibt. Jeder ist mit seinen Problemen isoliert. So sind wir darauf gekommen, eine eigenständige Gruppe zu bilden, die unsere Probleme, den alltäglichen Rassismus, unsere soziale Lage und unsere politischen Forderungen an die Öffentlichkeit tragen kann. Mit dieser Idee hat die Gruppe aus Rathenow mehrere Heime in Brandenburg besucht und Kontakte geknüpft. Ziel war es, in jedem Heim Ansprechpartner und Repräsentanten zu haben. So ist eine Gruppe von Vertretern aus den Heimen entstanden, die sich monatlich trifft und über unsere Probleme diskutiert. F: Seit dem ersten Memorandum sind fast acht Monate vergangen. Was läßt sich über die Wirkung Ihrer Arbeit sagen? Was haben Sie bis jetzt erreicht? Inzwischen stehen wir mit 28 Flüchtlingsheimen von den insgesamt 49 im Land Brandenburg in Kontakt. Die restlichen 21 Heime haben wir noch nicht erreichen können. Wir kommen aber langsam und sicher voran, trotz der großen Schwierigkeiten. Wir müssen eine gründliche Arbeit leisten. Das geht nicht auf die Schnelle. F: Mit welchen Schwierigkeiten haben Sie vor allem zu kämpfen? Wir haben Kommunikationsprobleme unter den Flüchtlingen. Für uns ist es zum Beispiel fast unmöglich, mit vietnamesischen Flüchtlingen zu sprechen. Nur wenige Flüchtlinge können Deutsch. Sie kommen aus unterschiedlichen Ländern, mit vielen haben wir keine gemeinsame Sprache. Außerdem haben wir Probleme mit den Ausländerbehörden, aber auch mit den Hausmeistern und den Heimleitungen. Um den Landkreis, in dem ein Heim liegt, zu verlassen, brauchen wir zum Beispiel Urlaubsscheine von der Ausländerbehörde. Von dieser hören wir: »Sie dürfen sich in Deutschland politisch nicht betätigen. Das haben Sie aber vor. Deswegen erhalten Sie keine Urlaubsscheine.« Auch in den Heimen treffen wir des öfteren auf Hausmeister oder Heimleiter, die unsere Gespräche mit anderen Flüchtlingen verhindern wollen. In Berlin-Schönefeld beispielsweise sagte der Heimleiter wörtlich: »Was wollt ihr hier? Hier leben wir in Frieden und haben kein Problem«. Er hatte schon vorher bei der Mobilisierung für die Demonstration von Flüchtlingen in Guben gegen uns gearbeitet. Das Plakat zur Mobilisierung hatte er sofort abgehängt. Interview: Aycan Demirel
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