Frankfurter Rundschau, 23.09.2000 Stolpes Zweifel können Schönbohm nicht aus der Fassung bringen Brandenburgs Innenminister verteidigt seine Politik gegen Fremdenhass und die Härte im Asylrecht / Landeschef unter Druck Von Wolfgang Kunath (Potsdam) Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) sieht keinen Anlass zur Selbstkritik. Er findet seine Politik gegen rechte Gewalt gut. Anders geht es seinem Chef, Manfred Stolpe (SPD). Das Eingeständnis des Ministerpräsidenten, da viel falsch gemacht zu haben, hat nun erneut die Frage nach seiner Führungskraft aufgeworfen. So einen Versprecher schreibt jeder Journalist sofort in seinen Block: Ob das Vertrauensverhältnis zum Ministerpräsidenten nicht Schaden genommen habe, nachdem dieser jetzt der Kritik an Schönbohms rigider Asylpolitik öffentlich zugestimmt habe, wird der Innenminister am Freitag in Potsdam gefragt. "Ich habe mit dem Ministerpräsident darüber gestolpert...ääh...gesprochen", verhaspelt sich Minister Schönbohm, der sonst mit Präzision zu formulieren versteht. Stolpern? Nein, Standhalten lautet die Devise des konservativen CDU-Innenministers. Nicht der leisteste Anflug von Selbstkritik störte seine Beteuerungen, alles richtig gemacht zu haben: Weder bei seiner Politik gegen Gewalt noch beim Kampf gegen Rechtsextremismus, und schon gar nicht bei der rigorosen Handhabung delikatester Asylfälle. Das ruppige Vorgehen der Behörden bei einigen Asyl-Härtefällen hatte die Kritik von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) wie die der Kirche ausgelöst. Schönbohm sieht nun gar eine Diffamierungskampagne gegen Brandenburg und forderte am Freitag die Verschärfung der Asylgesetzgebung. Thierses Bemerkung, er schäme sich "für dieses Land", sei "unangemessen und maßlos". Die Brandenburger bräuchten "Mut und Zuversicht". Mit "dem Kainsmal der Kollektivschuld" könnten sie die Zukunft nicht meistern. Das Beharren Schönbohms auf seiner Politik steht im auffälligen Gegensatz zu einem Interview seines Chefs, das nun in Potsdam einiges Aufsehen erregte. Der sozialdemokratische Ministerpräsident gab in der jüngsten Zeit unumwunden zu, dass er Rechtsextremismus und Fremdenhass in der Vergangenheit "einfach nicht wahrhaben" wollte. "Differenzieren wirkt als verharmlosen, und verharmlosen heißt unterstützen", sagte Stolpe im Hinblick darauf, dass er 1997 "Verständnis" geäußert hatte für die Ablehnung, mit der Dorfbewohner reagierten, als sie ein Heim für jüdische Auswanderer aus der Ex-Sowjetunion bekommen sollten. Stolpe setzte sich - nachdem er ihn erst verteidigt hatte - auch von seinem Innenminister ab: Die Kritik von Thierse, so habe sich herausgestellt, sei berechtigt gewesen. Ob Stolpe mit seinen Äußerungen die Zügel nun wieder straffe oder ob seine Reue vielmehr ein Anzeichen von Schwäche sei, darüber herrscht in Potsdam keine Einigkeit. Eins jedoch steht fest: die Kontroverse wirft erneut die Frage nach Stolpes Führungskraft auf. Und damit erhält die Debatte neue Nahrung, ob der seit einem Jahrzehnt amtierende Ministerpräsident nicht schon vor dem Ende der Legislaturperiode einem Nachfolger Platz machen sollte. Brandenburgs SPD hatte diese Debatte selber befeuert, als sie im Frühsommer einen öffentlich ausgetragenen Krach um den Landesparteivorsitz beilegte, indem sie Stolpes Kronprinz an die Parteispitze drängte: Potsdams Oberbürgermeister Matthias Platzeck. Wenn der allseits geschätzte Platzeck das höchste Parteiamt übernimmt, warum dann nicht auch das höchste Regierungsamt, fragen sich SPD-Leute. Viele Genossen vermissen in der ohnehin ungeliebten großen Koalition das sozialdemokratische Profil. Und dieses Defizit schreiben sie Stolpe zu, der sich persönlich mit Schönbohm gut versteht.
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