Mittelbadische Presse, 23.09.2000 »So etwas wünsche ich niemandem« Orhan, Gülsever, Ayten, Fatma, Mehmet, Helin - wie die Kurdenfamilie Dogan heute mit ihrem Martyrium umgeht Die Offenburger Familie Dogan lebt seit drei Wochen ohne Angst und Sorge vor einer Abschiebung. Seit Oberbürgermeister Wolfgang Bruder persönlich den Dogans die Aufenthaltsbefugnis überreichte, begann für sie ein neues Leben. Wir sprachen mit der Familie über ihre Gefühle, Gedanken und ihre Zukunft. VON MICHAEL HAß Offenburg. Es war ein regelrechtes Drama, das sich in Offenburg um die Dogans in den vergangenen Jahren abgespielt hatte. Drei Wochen nachdem Oberbürgermeister Bruder die Papiere mit der Aufenthaltsbefugnis den Dogans aushändigte, sitzen sie im Wohnzimmer und erzählen - ungezwungen und ohne Angst, vielleicht ein falsches Wort zu sagen.Ein Blick zurück: Orhan und Gülsever Dogan und ihre vier Kinder Ayten (20), Fatma (17), Mehmet (13) und Helin (10) hatten sich vorbildlich in der Stadt integriert. Die Eltern haben trotz aller Restriktionen Arbeit gefunden und mussten keine Sozialhilfe in Anspruch nehmen. Die Kinder engagierten sich in Schulen, Vereinen und dem Jugendgemeinderat. Die Dogans waren zu einer Offenburger Familie kurdischer Herkunft geworden.Sieben TageDoch ihre Zukunft war ungewiss. Denn Behörden und Gerichten wollten sie abschieben. Der Grund: Sieben Tage nach dem 1. Juli 1990 reisten die Dogans nach Deutschland ein, sieben Tage zu spät, um als Härtefall anerkannt zu werden. Da halfen auch keine Petitionen und Resolutionen von Politikern, Lehrern und Mitschülern. Ein Schicksal, das auch die Offenburger nicht unberührt ließ. Rund 500 Bürger gingen vor zwei Jahren für ihre sechs Mitbürger auf die Straße. Und als die Abschiebung wie ein Damoklesschwert über der Familie hing, boten eine evangelische und eine katholische Kirchengemeinde der Familie Zuflucht an.KirchenasylVier Wochen lang lebte die Familie im Kirchenasyl. »Wochen voller Verzweiflung und Existenzängste«, erzählt Fatma Dogan unserer Zeitung heute und fügt hinzu: »Eine solche Situation wünsche ich keinem Menschen.« Die 17-Jährige besucht heute die neunte Klasse des Schillergymnasiums. Drei Klassenstufen unter der ihrer Altersgenossinnen.Für Fatma ist es nicht auszudenken, wenn der Abschiebeversuch durchgegangen wäre. Die Innenministerkonferenz hat den Stichtag vor einem Jahr auf den 1. Juli 1993 datiert, damit waren jene sieben Tage, die die Dogans zu spät einreisten, nicht mehr Hinderungsgrund. Zu Hause im spartanisch eingerichteten Wohnzimmer sitzen Vater Orhan mit Tochter Fatma und erzählen von ihren Gefühlen.Vater Orhan fühlt sich nach der Aufenthaltsbefugnis wie ein neuer Mensch. »Endlich können wir leben«, lacht er und dankt allen, die seiner Familie geholfen hat. »Die Offenburger sind freundliche Menschen.« Doch dann wird er nachdenklich, steht vom Sofa auf und schaut das Fenster hinaus. »Eine Rückkehr in die Türkei hätte für uns die Katastrophe bedeutet.«Orhan Dogan erzählt von Repressalien, die seine Familie als Kurden erdulden mussten. Dass er und seine Familie nicht auf Sozialhilfe angewiesen sind, freut ihn besonders. Von Anfang an haben Orhan Dogan, seine Frau und die älteren Kinder sich bemüht, für ihr eigenes Auskommen zu sorgen und niemanden auf der Tasche zu liegen.Ein Teufelskreis: Denn nur wer finanziell unabhängig ist, kann von der Härtefallregelung profitieren. Aber: Nur wer ein Bleiberecht hat, findet Arbeit.Orhan Dogan hat Arbeit gefunden: Tagsüber bei der Bahn, abends als Taxifahrer. Auch wenn die Strapazen der beiden Jobs ihn ganz schön mitnehmen, Orhan Dogan klagt nicht. Schließlich muss die Miete von 1200 Mark bezahlt werden. Die älteste Tochter Ayten (20) besucht in Stuttgart ein zweijähriges Berufskolleg für Gesundheit und Hauswirtschaft. Fatma (17) möchte nach der Schule Architektur studieren. Die Fächer Mathematik und Kunst liegen ihr.Fast kein Türkisch mehrNur im Fach Deutsch hat sie noch ihre Probleme - obgleich sie in den zehn Jahren die Sprache sehr gut erlernte. »Dafür kann ich fast kein Türkisch mehr«, lacht sie und erzählt von der liberalen Erziehung ihrer Eltern. Kopftuchtragen ist nicht. Und einen für sie bestimmten türkischen Mann muss sie auch nicht heiraten. Der Vater schmunzelt, als Fatma erzählt. Die Mutter hat sich in die Küche verzogen. »Der Rummel um unsere Familie ist nichts für sie«, erklärt Fatma entschuldigend. Die Dogans blicken nach vorne. Das lange Warten um ihre Aufenthaltsbefugnis hat sie geprägt. Doch sie sehen auch einen Sinn darin. »Wir wollen anderen Familien mit unserer Geschichte Mut machen.«
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