junge Welt, 25.09.2000

Premierenflüge nach Bagdad

Maschinen aus Frankreich und Rußland in Irak gelandet. Scharfe Kritik aus USA und Großbritannien

Nach Frankreich hat auch Rußland am Wochenende ein Passagierflugzeug nach Irak geschickt, ohne das Einverständnis der UNO einzuholen. Die Maschine mit 143 Passagieren und fünf Tonnen Fracht an Bord landete am Sonnabend auf dem Flughafen von Bagdad, wo sie von ranghohen Vertretern der irakischen Regierung empfangen wurde. Bei den Passagieren handelte es sich vorwiegend um Geschäftsleute sowie um Künstler und Sportler. Die USA und Großbritannien kritisierten den Vorstoß Frankreichs und Rußlands zur Lockerung der Sanktionen gegen Irak erwartungsgemäß scharf.

Irak wertete die Flüge als Zeichen dafür, daß Amerikaner und Briten mit ihrem Versuch, das Land zu isolieren, gescheitert seien. »Irak ist sehr wichtig. Keiner kann ein Land mit solchen Potentialen ignorieren«, sagte Abdulrassak el Haschemi, ein Mitglied der regierenden Baath-Partei. Die Sanktionen der Vereinten Nationen gegen Irak bestehen seit 1990. Weder Rußland noch Frankreich hatten für ihre Flüge eine Genehmigung des UN-Sanktionsausschusses. Vor den beiden Flügen war seit einem Jahrzehnt keine Maschine mehr in Bagdad ohne UN-Genehmigung gelandet.

»Wir hoffen, daß sich dies nicht wiederholt«, sagte der stellvertretende amerikanische UN-Botschafter James Cunningham zum Flug der französischen Maschine, die am Freitag mit Ärzten, Sportlern und Schriftstellern in Irak gelandet war. Der Sprecher des US-Außenministeriums, Richard Boucher, sprach von einer »eklatanten Verletzung« der Sanktionen und eingespielter UN-Verfahren. Der britische UN-Botschafter Jeremy Greenstock sagte zum Vorstoß Frankreichs: »Die Londoner Reaktion ist eine der Überraschung und des Bedauerns.«

Moskau betonte, der Flug vom Sonnabend habe humanitäre Zwecke erfüllt und bedürfe daher keiner Erlaubnis durch die UN. Bei der Fracht handelte es sich um medizinische Versorgungsgüter. Der stellvertretende russische UN- Botschafter Gennadi Gatilow erklärte, seine Regierung habe den Sanktionsausschuß über den geplanten Flug unterrichtet, sich jedoch nicht um eine Genehmigung bemüht.

Rußland erhofft sich von einer Lockerung der Sanktionen den Abschluß von Verträgen zur Öllieferung und die Rückzahlung von Schulden durch Bagdad. Frankreich macht geltend, daß die Sanktionen hauptsächlich der Zivilbevölkerung schaden. Von den ständigen Mitgliedern im UN-Sicherheitsrat befürwortet neben Frankreich und Rußland auch China eine Lockerung der Strafmaßnahmen.

(AP/jW)