Süddeutsche Zeitung, 25.9.2000 In Paris wird wieder für Bagdad gebucht Frankreich macht kein Geheimnis daraus, dass es die Sanktionen gegen den Irak für überlebt hält Von Rudolph Chimelli Das Flugembargo gegen den Irak, das der Sicherheitsrat während des Golfkonflikts verhängte, gerät ins Wanken. Im Zeichen humanitärer Hilfe brachte die erste französische Chartermaschine seit 1990 vergangene Woche nicht nur Ärzte und Schwestern, wenn auch bloß für einige Tage, nach Bagdad, sondern mit ihnen auch Künstler für das Festival von Babylon und Mitglieder des Pariser Roller-Clubs, die ihren Sport in Mesopotamien populär machen wollen. Für den nächsten Flug in dieser Woche sind Passagiere mit politischer Qualität gebucht; der ehemalige Außenminister Claude Cheysson, Ex-Justizminister Robert Badinter, der Armenpriester Abbe Pierre, der Filmregisseur Bernard Tavernier, die Bestseller-Autorin Regine Deforges sind darunter. Frankreich macht kein Geheimnis daraus, dass es die Sanktionen für überlebt hält, vor allem wegen der damit verbundenen Entbehrungen für die Iraker. Vorhersehbar war auch der Protest der USA und Grossbritanniens. Interessant ist deshalb die Reaktion anderer Staaten. Italien schlug das Ersuchen Washingtons um ein Überflugverbot für die französischen Irak-Demonstranten ab. Syrien genehmigte den Flug ausdrücklich. In der Türkei starten immer noch amerikanische Maschinen, die in den Flugverbotszonen des Irak regelmäßig die Flugabwehr beschießen. Dennoch drückte die Türkei, genau wie Cypern, die Augen zu. Bereits vor zehn Tagen war eine russische Maschine mit hochrangigen Abgesandten der Erdölwirtschaft nach Bagdad geflogen. Allerdings hatte Moskau dafür den UN-Sanktionsausschuss um Genehmigung gebeten. Die Franzosen dagegen notifizierten nur. Sie interpretieren die Boykott-Resolution 670 in dem Sinne, dass davon nur der kommerzielle Luftverkehr betroffen sei. Flüge anderer Art, solange dabei nur Personen und keine Handelsware transportiert werden, seien gestattet. Die erste Maschine enthielt Hilfsgüter. Unabhängig davon verhandeln Moskau und Bagdad über die Wiederaufnahme des regulären Luftverkehrs. Russlands Präsident Wladimir Putin und der stellvertretende irakische Premierminister Tarik Asis haben darüber im August gesprochen. Dabei scheint eine grundsätzlich positive Entscheidung gefallen zu sein, obgleich der Termin noch nicht feststeht. Der Bagdader Vertreter von Aeroflot kündigte der offiziellen irakischen Zeitung Al Thawra an, er werde sein Büro Mitte Oktober wieder eröffnen und rechne mit drei Flügen pro Woche. Seit August ist der Bagdader Flughafen offiziell wieder in Betrieb. Sogar wenn das Embargo fällt, wofür neben Frankreich und Russland auch China plädiert, bleiben die eigenen Möglichkeiten der Iraker beschränkt. Ihr Flugzeugpark ist überaltert. Während des Golfkriegs hatten sie einen Teil ihrer Flugzeuge auf iranische Pisten gerettet, darunter 27 Verkehrsmaschinen. Sie wurden im Einklang mit dem Embargo nie zurückgegeben. Soeben hat Bagdad erneut dagegen protestiert, dass sie von den Iranern für eigene Zwecke benutzen werden. Andere Flugzeuge sind in arabischen Ländern geparkt. Einzig ein alter russischer Transporter durfte während des Embargos irakische Pilger nach Mekka fliegen. Der Irak hat deshalb für die Zeit danach sein Interesse am Kauf von 20 Airbussen angemeldet. Der Flug der Chartermaschine kann als Vorspiel zu erneuerten Handelsbeziehungen gesehen werden, zumal ihm das Pariser Außenministerium keine Bremsklötze in den Weg legte. Organisator war ein libanesischer Geschäftsmann, der maßgeblich an Getreidelieferungen in den Irak beteiligt ist, die im Zuge des von den UN genehmigten Programms "Erdöl gegen Lebensmittel" gestattet sind. Er hatte dabei die Unterstützung französischer Wirtschaftskreise, die sich vom künftigen Geschäft mit dem Irak viel versprechen. Die irakische Lobby in Frankreich war nur vorübergehend gelähmt. Präsident Jacques Chirac machte in seiner Zeit als Regierungschef den Irak und Saddam Hussein zum bevorzugten Partner im Nahen Osten. Während des irakisch-iranischen Krieges war Frankreich Saddams wichtigster Rüstungslieferant. Aus jener Zeit hat Bagdad noch gewaltige Schulden bei den Franzosen.
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