taz 26.9.2000 Über Asyl reden Bundesinnenminister Otto Schily verteidigt seine Thesen zur Asylpraxis und verlangt offenen Dialog. Jugendwettbewerb trägt Klemperers Namen von S. WEILAND und R. GEISSLER Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) hat sich erneut dafür ausgesprochen, über alle Aspekte der Zuwanderung offen zu diskutieren. Wenn die Politik nicht auch die von Teilen der Gesellschaft als negativ empfundenen Aspekte einer "ungesteuerten Zuwanderung" aufgreife, würden "sich andere damit verhetzend" auseinandersetzen, erklärte er gestern vor der Presse in Berlin. In einem Interview hatte Schily zuvor die derzeitige Praxis des Asylverfahrens kritisiert. Dieses werde "in großem Umfang zur Einwanderung genutzt". Die Anrufung der Gerichte zur Überprüfung abgelehnter Asylbescheide diene oft nur der Verlängerung des Aufenthalts des Asylsuchenden. Etwa neunzig Prozent der Anfechtungen würden gerichtlich abgelehnt. Menschenrechtsgruppen warfen Schily vor, mit diesen Äußerungen den Nährboden für Fremdenfeindlichkeit und Rassismus zu legen. "Es ist unverzeihlich, dass der Innenminister Ausländern ankreidet, dass sie Grundrechte in Anspruch nehmen", sagte gestern in Berlin Heiko Kauffmann, Sprecher von Pro Asyl. Kauffmann nannte die Politik Schilys "staatlich organisierte Diskriminierung" und zog eine negative Halbzeitbilanz rot-grüner Asylpraxis. "Es wurde wenig versprochen und nichts gehalten", bedauerte er. So sei auch unter Rot-Grün die Abschiebehaft für viele Flüchtlinge die reguläre Endstation in Deutschland geblieben. Die UN-Kinderrechtskonvention werde bei asylsuchenden Kindern immer noch nicht angewandt. "Wir wünschen uns von Schily statt Populismus endlich Zivilcourage", bekräftigte Kauffmann. Schily verteidigte gestern seine Äußerungen: "Es kann doch niemand ernsthaft meinen, dass das Asylgesetz dafür herhalten muss, die Zuwanderung herbeizuführen." In diesem Zusammenhang verwies er auf die von ihm eingesetzte Einwanderungskommission, die bis kommenden Sommer Vorschläge über Einwanderung und politisches Asyl erarbeiten soll. Schily sprach die Hoffnung aus, dass die Kommission am Ende zwei Varianten vorlegen wird: Zum einen für ein "transparentes, flexibles Verfahren" über eine Steuerung der Zuwanderung; zum anderen ein "großzügiges, schnelles und zielgenaues" Verfahren für die Aufnahme politischen Verfolgter. Ein wenig in Vergessenheit geriet nach dem Wirbel um Schilys Interview die neueste Initiative gegen Rechtsextremismus. Zusammen mit dem Aufbau Verlag und der Dresdner Bank wird das Bundesinnenministerium einen "Victor-Klemperer-Jugendwettbewerb" ausschreiben. In den nächsten Wochen sollen rund 200.000 Unterlagen an die Schulen gehen. Der Namensträger Klemperer hatte als deutscher Jude in Dresden die Nazizeit überlebt und seine Erlebnisse in Tagebüchern niedergeschrieben. Die Aktion, die unter dem Dach des erst im Frühjahr vom Bundesinnenministerium gegründeten Bündnisses für Demokratie und Toleranz steht, wird mit 700.000 Mark durch die Dresdner Bank finanziert. Die Bank will nach Angaben ihres Vorstandsmitglieds Joachim von Harbou mit ihrem Engagement auch Lehren aus der eigenen Verstrickung in der NS-Zeit ziehen. Nach Meinung von Schily ist das Bündnis für Demokratie und Toleranz "auf einem guten Weg", obwohl sich während der Gründungsphase Organisationen wie amnesty international und Pro Asyl daraus zurückgezogen hatten: "Es gibt Organisationen, die meinen, ein Monopol auf bestimmte Fragen zu haben - das macht sie nicht immer kooperationsfähig", so Schily gestern.
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