Tagblatt (CH), 26.9.2000 Initiative verärgert Türkei US-Kongressausschuss debattiert über die Deportation der Armenier Amerikanische Kongressabgeordnete haben vergangene Woche eine Entschliessung gebilligt, dass die Deportation der Armenier in der Türkei nach 1915 als Völkermord zu bewerten sei. Das Aussenministerium in Ankara kritisierte, diese Initiative beeinträchtige die Beziehungen zwischen der Türkei und den USA. Jan Keetman/Istanbul Die Festnahme und Deportation zahlreicher Armenier im Osmanischen Reich begann am 24. April 1915 mit der Ermordung von 235 armenischen Intellektuellen und Politikern. Zehntausende, die durch wüstenähnliche Landschaften nach Deir ez-Zor in Syrien getrieben wurden, starben. Armenische Historiker gehen davon aus, dass bei den bis 1923 dauernden Deportationen mindestens 800 000 Menschen ums Leben kamen. Nach andern Quellen waren es bis zu 1,5 Millionen. Die Alliierten richteten kurz nach Beginn der Deportationen eine Warnung an den Kriegsgegner und drohten, sie würden für das, was den Armeniern geschehe, die Verantwortlichen auf allen Ebenen zur Rechenschaft ziehen. Nach dem Krieg passte das aber nicht mehr in die politische Landschaft, und die Engländer liessen hunderte Verdächtige, die sie auf Malta interniert hatten, entkommen. Offizieller Gedenktag? Der Menschenrechts-Ausschuss des aussenpolitischen Ausschusses des US-Repräsentantenhauses verabschiedete nun eine von Abgeordneten der Demokraten und der Republikaner eingebrachte Resolution, die vorsieht, dass die USA jeweils am 24. April offiziell des Völkermordes an den Armeniern gedenken. Als Vertreter der türkischen Sicht sprach der pensionierte Botschafter und Journalist Gündüz Aktan vor dem Ausschuss. Er argumentierte, die USA verlören bei Annahme der Resolution durch den Gesamtausschuss in den Augen der türkischen Öffentlichkeit den Status eines ehrenhaften Vermittlers. Der erste Rückschlag träfe, so meinte er, die Bemühungen der USA, im Zypernkonflikt zu vermitteln. Vergeltungsmassnahme? Aktan erinnerte ferner daran, dass die Türkei grosse Schäden durch das Irak-Embargo hinnehmen müsse und den USA auch seine Luftwaffenbasis in Incirlik für die Überwachung der Flugverbotszone über Irak zur Verfügung stelle. Wenn die Entschliessung definitiv angenommen werde, würden die USA diese Überwachungsmöglichkeit verlieren und Saddam Hussein wieder die Kontrolle über den Norden des Landes erlangen. Aktan wies auch darauf hin, dass die USA mit ihrem Projekt eines Energie-Korridors von Mittelasien nach Europa ebenfalls auf die Unterstützung der Türkei angewiesen seien. Vergleich mit Deutschland Unter den US-Abgeordneten wurden dagegen Vergleiche mit dem Verhältnis zu Deutschland gezogen. So etwa argumentierte der republikanische Abgeordnete Christopher Smith, Deutschland sei ein guter Verbündeter der USA und dennoch würde kein US-Diplomat sagen, die Nazis hätten keinen Völkermord an den Juden begangen. Die demokratische Abgeordnete Cynthia McKinney stellte ihrerseits eine Verbindung zwischen beiden Ereignissen her, indem sie auf eine Äusserung Hitlers während einer Tischrede hinwies: Hitler, auf die Lage der Juden anspielend, habe gesagt, dass jetzt ja auch niemand mehr danach frage, was den Armeniern geschehen sei.
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