web.de, 27.09.2000 15:01

«Deutsches Asylrecht droht ausgehebelt zu werden»

Erstmals Vorschlag zur Harmonisierung der Asylpolitik in der EU - Kern einer europäischen Staatsanwaltschaft bis Ende 2001

Von AP-Korrespondentin Claudia Kemmer Brüssel (AP)

Die Europäische Union will schon lange mehr sein als ein Binnenmarkt und eine Währungsgemeinschaft. Das Fundament für einen einheitlichen «europäischen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts» legten die Mitgliedstaaten bereits im Amsterdamer EU-Vertrag vor drei Jahren. Feierlich gelobten die Staats- und Regierungschefs vor einem Jahr im finnischen Tampere, das Projekt in Angriff zu nehmen.

Einzige Vorzeigeinstitution ist bislang die Polizeibehörde Europol. Eurojust - die geplante Stelle für die justizielle Zusammenarbeit, der Kern einer europäischen Staatsanwaltschaft - soll Ende 2001 arbeitsfähig sein. Erstmals beugen sich die EU-Innen- und Justizminister am Donnerstag auch über einen Vorschlag, die Asylpolitik der Mitgliedstaaten zu harmonisieren.

EU-Justizkommissar Antonio Vitorino legte seinen Vorschlag über Mindestnormen für die Anerkennung von Flüchtlingen in der vergangenen Woche vor - und erntete prompt Kritik. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, Hartmut Nassauer, bemängelte am Mittwoch in Brüssel, der Vorschlag sei «geeignet, das deutsche Asylrecht auszuhebeln». Seine Kritik entzündete sich an Vitorinos Definition dessen, was ein sicherer Drittstaat sei, in den ein Asylbewerber nach deutschem Recht zurückgeschickt werden kann. Während das deutsche Asylgesetz von 1993 vorsieht, dass Flüchtlinge in jedes sichere Drittland zurückgeschickt werden können, aus dem sie nach Deutschland einreisen, fordert Vitorino, dass der Flüchtling einen Bezug zu diesem Durchreiseland haben müsse. Dies könnten familiäre Bindungen sein oder ein vorheriger Aufenthalt in dem Drittland, der über eine Transitreise hinausging.

Diese Definition öffnet laut Nassauer dem «Asyltourismus» Tür und Tor. Es gehe nicht an, dass sich ein Asylbewerber sein Aufnahmeland aussuchen dürfe. Der CDU-Politiker wies darauf hin, dass die deutsche Asylregelung im Grundgesetz verankert und mit der Opposition im Bundestag nicht zu ändern sei. Die Harmonisierung des Asylrechts auf europäischer Ebene kann indes im Ministerrat nur einstimmig in kraft gesetzt werden. Mit Bedenken aus Österreich und den Niederlanden wird ebenfalls gerechnet, während Staaten an den Außengrenzen der EU wie Italien und Spanien Vitorinos Vorschlag eher begrüßen dürften.

Die Bundesregierung hat sich noch keine Meinung zu dem noch druckfrischen Vorschlag gebildet. Sie geht von einem zweijährigen Verhandlungsprozess zwischen den Mitgliedstaaten aus. «Ihn jetzt schon abzulehnen, wäre unseriös», hieß es in Delegationskreisen. Ein Diplomat sagte, die Bundesregierung wolle natürlich beides - die europäischen Bedingungen harmonisieren und die deutsche Asylpraxis weitgehend wahren. Seit der Gesetzesänderung 1993 ging die Zahl der Bewerber von 500.000 im Jahr auf 100.000 zurück.

Eine Einigung erzielen die EU-Innen- und Justizminister am Donnerstag voraussichtlich über die Einrichtung eines europäischen Flüchtlingsfonds, der von 2000 bis 2004 mit 216 Millionen Euro ausgestattet werden soll. Dabei sollen für die Aufnahme, Rückführung und Integration von Flüchtlingen 166 Millionen Euro bereitgestellt werden, für Sofortmaßnahmen im Falle einer Massenflucht - Beispiel Kosovo - 50 Millionen Euro. Welches Land wie viel aus dem Topf erhält, ist noch nicht errechnet, doch steht fest, dass Deutschland «den Löwenanteil bekommt», wie ein Diplomat formulierte. Zwar beherberge Deutschland nicht mehr alleine mehr Flüchtlinge als alle anderen EU-Staaten zusammen - relativ gesehen aber doch die meisten. Auch Staaten, die bislang keine oder kaum Asylbewerber aufnehmen, erhalten einen geringfügigen Sockelbetrag, um Aufnahmekapazitäten aufzubauen.

Überbrückungsteam für Zusammenarbeit im Justizbereich

Was die Kriminalitätsbekämpfung angeht, so wollen die EU-Minister Europol mit weiteren Zuständigkeiten im Kampf gegen Geldwäsche ausstatten. Bislang durfte die Koordinierungsbehörde ohne eigene Ermittlungsbefugnisse nur dann die Geldwäsche unter die Lupe nehmen, wenn sie im Zusammenhang mit Terrorismus, Menschenhandel, Schleuserbanden und Atomschmuggel stand.

Es wurde auch erwartet, dass die Innen- und Justizminister die Einrichtung einer vorläufigen Eurojust-Einheit beschließen, um die Zeit bis zur Einrichtung der Behörde Ende nächsten Jahres zu überbrücken. Jeder Mitgliedstaat soll einen Richter, einen Staatsanwalt oder einen Polizeibeamten in das Überbrückungsteam entsenden, verlautete aus Delegationskreisen. Die Zuständigkeit sollte zunächst auf schwere Kriminalität und insbesondere organisiertes Verbrechen begrenzt werden.

AP/ck/im