junge Welt 29.09.2000 Barak greift tief in die Trickkiste Israels Premier will zwei Hauptstädte in Jerusalem. jW-Bericht Jerusalem könnte nach dem Willen des israelischen Regierungschefs Ehud Barak künftig zwei Hauptstädte beherbergen. Wie der Premier der Freitagausgabe der Jerusalem Post erklärte, sollen Jerusalem und El-Kuds - die arabische Bezeichnung für Jerusalem - nebeneinander als Hauptstadt Israels und als Hauptstadt der Palästinenser bestehen. Diese Formel sei wesentlicher Bestandteil eines Friedensabkommens, von dem er aber noch nicht wisse, ob es zustande kommen werde, erklärte Barak gegenüber der Zeitung. Was auf den ersten Blick als weitreichendes Kompromißangebot erscheint, ist jedoch vor allem eine Absicherung der territorialen Ansprüche Israels. Wenn das Abkommen zustande komme, bedeute dies »die Anerkennung der Grenzen Israels durch die ganze Welt«, gab Barak freimütig der Jerusalem Post zu Protokoll. 80 Prozent der jüdischen Siedlungen im Westjordanland blieben dann unter israelischer Souveränität. Zudem werde es in Jerusalem auf Generationen hinaus »eine solide jüdische Mehrheit« geben. Praktisch alle im Ostteil Jerusalems errichteten jüdischen Viertel würden nach einem Abkommen zu Israel gehören, sagte Barak weiter. Aber selbst in der Frage der »geteilten Hauptstadt« erweist sich das Angebot Baraks als Finte. Denn gerade in der Souveränität über den Tempelberg, die den Kern des Jerusalem-Streits ausmacht, blieb der Premier unnachgiebig. Der Konflikt um den Tempelberg in der Altstadt von Jerusalem, wo sich die Heiligen Stätten von Juden und Moslems befinden, hatte den Gipfel in Camp David vor zwei Monaten zum Scheitern gebracht. Israel hatte den überwiegend arabischen Ostteil Jerusalems, den die Palästinenser zu ihrer Hauptstadt machen wollen, 1967 nach dem Sechs-Tage-Krieg annektiert. Wie emotionsgeladen der Streit um den Tempelberg ist, hatte sich ebenfalls am Donnerstag gezeigt: Bei gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen israelischen Polizisten und jugendlichen Palästinensern an der heiligen Stätte wurden mehrere Menschen verletzt. Die Ausschreitungen begannen kurz nach dem Besuch des Vorsitzenden des oppositionellen konservativen Likud-Blocks, Ariel Scharon. Die Polizisten setzten Gummigeschosse gegen die etwa 200 Palästinenser ein, die sich wiederum mit Steinwürfen auf die Beamten wehrten. Drei Palästinenser und etwa zwei Dutzend Polizisten wurden nach Behördenangaben verletzt. Der palästinensische Präsident Yassir Arafat erklärte, Scharons Besuch sei sehr gefährlich. Die arabischen und islamischen Länder sollten die heilige Stätte möglichst schnell schützen. Arafat sah in dem Besuch Scharons eine Provokation, mit der der Politiker die Souveränität Israels über den Tempelberg habe demonstrieren wollen. Ein palästinensischer Behördenvertreter meinte, daß Tausende Polizisten den Politiker beschützen müßten zeige, daß Israel keine Kontrolle über das Gebiet habe. Delegationen Israels und der Palästinenser setzten unterdessen ihre
Beratungen über den Nahost-Prozeß in den USA fort. Unterhändler
beider Seiten trafen am Mittwoch abend (Ortszeit) an einem geheimgehaltenen
Ort nahe Washington mit dem US-Nahostbeauftragten Dennis Ross zusammen.
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