Frankfurter Rundschau 29.9.2000 Barak in der Offensive Der Verzicht auf die arabischen Stadtteile Jerusalems ist auf höchster Regierungsebene enttabuisiert Von Inge Günther Es ist eine Faustregel, dass in Zeiten intensiver Friedensgespräche in Nahost mit Störmanövern zu rechnen ist. Diesmal hat Israels prominentester Hardliner, Ariel Scharon, persönlich für eine Provokation gesorgt, die die Vermittlungsbemühungen Washingtons wahrlich nicht erleichtert. Mit selbstherrlicher Attitüde ist Scharon samt großem Bahnhof auf dem Haram al-Scharif eingelaufen, dem "Erhabenen Heiligtum" der Moslems, das die Juden Tempelberg nennen. Die prompt folgenden Zusammenstöße haben auch die Friedenswilligen bitter daran erinnert, dass sich inmitten Jerusalems ein religiös-politisches Pulverfass befindet. Es per Kompromiss zu entschärfen, setzt enormes Vertrauen auf beiden Seiten in die Gutwilligkeit der jeweils anderen voraus. Die Bereitschaft dazu ist seit Donnerstag unter gewöhnlichen Israelis und Palästinensern jedenfalls nicht gewachsen. Trotz dieses Rückschlags gab es zeitgleich einen deutlichen Fortschritt zu verzeichnen. Was nach Camp David durchsickerte, hat Israels Premier Ehud Barak jetzt offiziell bestätigt. Frieden heißt, mit einer palästinensischen Kapitale Al-Quds Seite an Seite des israelischen Jerusalems zu leben. Der Verzicht auf die arabischen Stadtteile ist damit auf höchster Regierungsebene enttabuisiert. Mit dem Slogan der Rechten "Barak teilt Jerusalem" geht der Premier nun also offensiv um. Dennoch: am Hoheitsstreit um das Herz der "Heiligen Stadt" droht ein Friedensschluss nach wie vor zu scheitern. Die Einsicht, dass der Anspruch auf einen Quadratkilometer das nicht wert ist, muss erst noch reifen. Auf beiden Seiten.
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