junge Welt 30.9.2000 Verbaute Friedenschance Israelische Siedlungen ausgeweitet. Programm der Netanjahu- Regierung fortgesetzt Knapp zwei Monate ist es her, da trafen sich zum wiederholten Male Israelis und Palästinenser in den USA, um die ins Stocken geratenen Friedensgespräche wieder in Gang zu bekommen. Doch auch das diesjährige Treffen in Camp David bei Vermittler William Clinton scheiterte letztendlich. Am Donnerstag sicherte Israels Premierminister Ehud Barak den Palästinensern nun öffentlich zu, daß es in Jerusalem zwei Hauptstädte nebeneinander geben wird. Doch trotz dieses positiven Zeichens werden andere Probleme wohl weiter ungelöst bleiben, so z. B. die Frage der israelischen Siedlungen im Westjordanland sowie im Gazastreifen. Während die Palästinenser fordern, daß rund 150 der jüdischen Siedlungen aufgelöst oder unter ihre Kontrolle gestellt werden, will Israel jene Siedlungen annektieren, in denen rund 80 Prozent der etwa 200 000 Siedler leben. Lediglich den Anspruch auf mehrere Dutzend weitere Siedlungen will die Führung unter Ehud Barak aufgeben. Warum dies den Palästinensern zum jetzigen Zeitpunkt mehr denn je ein Dorn im Auge sein muß, mögen die Zahlen verdeutlichen, die die israelische Organisation »Frieden jetzt« (»Schalom Akhshav«) vor kurzem veröffentlicht hat. Ihnen zufolge hat es in den ersten vier Monaten diesen Jahres einen 81prozentigen Anstieg gegenüber dem Vorjahr bei den Siedlungsaktivitäten gegeben. Insgesamt wurde in dieser Zeit die Arbeit an 1000 neuen Gebäuden begonnen. 1999 waren es im selben Zeitraum nur 550. Gabi Lasky, Generaldirektorin von »Frieden jetzt«, schiebt die Hauptlast der Verantwortung Ehud Barak zu. Er habe, so Lasky, trotz seiner klaren Versprechungen die Karte »nationaler Prioritätszonen« nicht verändert, sondern lediglich von seinem Vorgänger Benjamin Netanjahu übernommen. Dadurch wird auch klar, warum die Mehrheit der neuen Siedlungen im Westjordanland weder abgerissen noch deren Bau eingefroren wurde. Eine entsprechende Verständigung hatte es zwar im Oktober letzten Jahres zwischen Barak und dem Council of Jewish Communities in Judea, Samaria and Gaza gegeben. Doch viele der Siedler bauen inzwischen illegal - und werden vom israelischen Staat auch nicht daran gehindert. Dem Bericht von »Frieden jetzt« zufolge wird an 64 Prozent der eingefrorenen Bauvorhaben weitergebaut und lediglich vier von acht Siedlungen sind tatsächlich geräumt worden. »Das sagt eine Menge über die Fähigkeit der Regierung das Gesetz zu etablieren«, bilanziert Gabi Lasky und kommt zu dem Schluß, daß »das Dokument nicht einmal das Papier wert sei, auf dem es gedruckt wurde«. Nichtsdestotrotz gab sich Premier Barak vor den Gesprächen in Camp David uneinsichtig gegenüber solchen Vorwürfen und schloß Kompromisse in den fünf Hauptstreitpunkten mit den Palästinensern aus. Nicht verhandelbar seien demzufolge der Status Jerusalems, die Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge, der Grenzverlauf, das Jordantal sowie auch die jüdischen Siedlungen. Israel werde die Kontrolle über einen Großteil eben dieser Siedlungen im Westjordanland und dem Gazastreifen behalten, sagte Barak. Insofern konnte auch den Informationen, die beim Nahost-Gipfel zwischenzeitlich nach außen drangen, keine besondere Bedeutung beigemessen werden. Ihnen zufolge nämlich hatten sich die Delegationen Israels und der Palästinenser darauf geeinigt, daß nach einem Friedensvertrag kein jüdischer Siedler mehr im Gazastreifen verbleiben darf. Die Siedlungen sollten zwar nicht abgerissen werden, aber jüdische Siedler dürften sie nicht mehr bewohnen, sagte der arabische Abgeordnete Achmed Tibi während der Verhandlungen im israelischen Rundfunk. Bei seinen Aussagen berief er sich zwar auf die Verhandlungsdelegationen, doch in Camp David selbst gab es keine Stellungnahme dazu. Schon zu Beginn des Treffens, das insgesamt zwei Wochen lang dauerte, war eine Nachrichtensperre verhängt worden. Ob nun die neuen Ankündigungen des israelischen Premierministers zu Hoffnungen auf eine baldige Einigung im Nahen Osten berechtigen, bleibt abzuwarten. Denn, so Barak gegenüber der Jerusalem Post am gestrigen Freitag, wenn das Abkommen zustande käme, würde dies »die Anerkennung der Grenzen Israels durch die ganze Welt« bedeuten. 80 Prozent der jüdischen Siedlungen blieben dann unter israelischer Souveränität. Axel Mannigel
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