junge Welt 30.9.2000 Interview Läßt Sie der Tod eines Abschiebehäftlings kalt? junge Welt sprach mit Hans Engel * Hans Engel ist Ministerialdirigent im Innenministerium Nordrhein-Westfalens F: Im Abschiebegefängnis in Moers haben am 26. September vier tamilische Flüchtlinge ihren Hungerstreik beendet, mit dem sie seit Anfang September gegen ihre drohende Abschiebung protestiert haben. Haben die Flüchtlinge Zusagen bekommen, nicht abgeschoben zu werden? Ursprünglich waren es fünf Hungerstreikende aus Sri Lanka, die weniger ihre persönliche Nichtabschiebung als einen generellen Abschiebestopp ertrotzen wollten, dann waren es mal drei, dann wieder vier. Sie wurden jeden Tag darüber beraten, was ausländerrechtlich für sie möglich ist. Ich nehme an, daß die Beratung gut genug war, um sie zum Abbruch des Hungerstreiks zu bewegen. F: Im vergangenen Jahr hat ein tamilischer Flüchtling aus Protest gegen seine drohende Abschiebung Selbstmord im Abschiebegefängnis in Moers begangen. War das im Innenministerium NRW Anlaß, über Abschiebungen nach Sri Lanka neu nachzudenken? Selbstverständlich führt ein Selbstmord dazu, sich den Vorfall und auch sein Umfeld durch den Kopf gehen zu lassen. Dieser schlimme Vorfall zeigt, in welcher Bedrängnis sich viele Flüchtlinge befinden, die nach Hause gehen müssen, weil die von ihnen vorgetragenen Fluchtgründe für ein Bleiberecht nicht ausreichten. Aber es kann natürlich nicht so sein, daß eine Verzweiflungstat dazu führt, daß ein rechtsstaatliches Verfahren und sein richterlich gewonnenes Ergebnis ins Gegenteil verkehrt werden. F: Nach den uns vorliegenden Informationen ist eine Gruppe von 18 Tamilen aus NRW nach Colombo abgeschoben worden. Sie reisten mit Notpapieren und waren damit sofort erkennbar. Sie wurden festgenommen und in der Haft mißhandelt. Muß die Abschiebepraxis in NRW angesichts des Kriegszustandes in Sri Lanka und dem Vorgehen speziell gegen Tamilen nicht generell überdacht werden? Es sind nicht 18, sondern 20 Menschen am 15. März abgeschoben worden. Die Reise wurde von der deutschen Botschaft und vom UNHCR beobachtet. Die üblichen Einreiseprozeduren dauerten drei Stunden lang. Jeder ist eine halbe bis eine Stunde befragt worden. Das ist der übliche erkennungsdienstliche Aufwand, den alle Staaten machen, nicht nur Sri Lanka, wir auch. 18 Zurückgeführte von den 20 wurden am Abend des Ankunftstages dem Untersuchungsrichter vorgeführt und gegen 22 Uhr gegen Bürgschaft provisorisch auf freien Fuß gesetzt. Zwei Rückkehrer wurden in U-Haft genommen. Am 21. März hat der Magistrat für die in U-Haft Befindlichen und die weiteren Rückkehrer eine Freilassung gegen Kaution verfügt. Die abschließende Verhandlung wird demnächst stattfinden. F: Sagen Ihre Unterlagen auch etwas aus über die ärztlichen Atteste, die Mißhandlungen der Personen betreffen? Davon ist in den Berichten der begleitenden Gruppe, das heißt von UNHCR und der deutschen Botschaft vor Ort, die dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge damals vorgelegt worden sind, nicht die Rede. F: Der Gerichtsgutachter Keller-Kirchhoff hat der deutschen Botschaft in Colombo aber entsprechende Informationen in seinem Bericht vorgelegt. Die Frage ist doch, auf welche Beurteilungen soll sich Nordrhein-Westfalen in einem solchen Fall stützen? Wir haben in Deutschland eine Aufgabenteilung. Kein Mensch in einer Ausländerbehörde, ob in Bielefeld oder hier in Düsseldorf, ist so hochnäsig zu glauben, er wisse das besser, als die Experten vor Ort. Unsere Experten vor Ort machen Lageberichte. Der letzte zu Sri Lanka stammt aus dem April. Weil die Lage dann unübersichtlicher wurde, haben wir im Juli einen »Ad-hoc- Bericht« bekommen. Und beide Berichte sagen, es gibt keinen Grund, von dem generellen Nicht-Abschiebestopp abzugehen. F: Die reale Anerkennungsquote bei Asylanträgen ist sehr niedrig in Deutschland. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen der latenten Fremdenfeindlichkeit in der deutschen Bevölkerung und der rigorosen deutschen Asylpolitik? Ich will nichts herunterspielen. Deutschland ist ein begehrtes Zufluchtsland. Aber es kann doch sein, daß ein Grund der Fremdenfeindlichkeit darin liegt, daß Leute, die nach Recht und Gesetz kein Recht dazu haben, mit allen Tricks versuchen, hier zu bleiben. Das fördert die Akzeptanz nicht. Für die Integration derjenigen, die einen Anspruch darauf haben, hier Zuflucht zu suchen, wäre es besser, es gäbe nicht diese Verzögerungen bei der Ausreise. Wenn Sie fragen, ob Ausländerfeindlichkeit damit zusammenhängt, will ich eine ganz leichtfertige Äußerung machen: Es hängt damit zusammen. Es ist nicht der Hauptgrund, aber es hängt damit zusammen, daß sehr viele Menschen, die trotz eindeutiger Rechtslage in diesem Land nicht bleiben können, jeden Verwaltungsweg, jeden Rechtsweg ausnutzen, gegen geltendes Recht hier zu bleiben. Integration und vernünftiges Zusammenleben mit Ausländern, von denen bei uns in NRW zwei Millionen, im gesamten Bundesgebiet 7,3 Millionen leben, setzt voraus, daß wir eine Akzeptanz haben. Für diese Akzeptanz ist aber nicht förderlich, daß Menschen, obwohl sie es nicht dürfen, partout hier bleiben wollen. F: Wie geht es weiter in dem Fall der vier inhaftierten Tamilen? Die werden in nächster Zeit abgeschoben werden, denn die Fälle sind ja endgültig entschieden. Sonst hätte gar keine Abschiebehaft nach Paragraph 57 Ausländergesetz ergehen dürfen. Richterlich wurde festgestellt, daß eine Ausreisepflicht besteht, daran ist die Behörde gebunden. Also gehe ich davon aus, daß diese Menschen nach Hause gehen müssen. Interview: Karin Leukefeld
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