Neue Zürcher Zeitung (CH).09.2000
Parolen der Mässigung in Iran
Präsident Khatami gegen überstürzte Reformen
Nach einer Periode der Spannungen sind die iranischen Reformer und die
Konservativen wieder etwas zusammengerückt. Präsident Khatami
und der Revolutionsführer Khamenei haben sich offenbar darauf verständigt,
im Interesse der Stabilität gemässigte Positionen zu vertreten
und die Extremisten an beiden Flügeln blosszustellen.
vk. Limassol, 29. September
Der iranische Präsident Khatami ist neulich bei einem Studententreffen
an der Universität von Teheran so aufgetreten, als hätte er
politisch die Seiten gewechselt. Die Anhänger der Reformströmung
wurden von ihrem Idol plötzlich zur Rückbesinnung auf die grossen
Werte der islamischen Revolution aufgerufen. Der Präsident sagte,
die Extremisten und Aktivisten, welcher Zugehörigkeit auch immer,
seien eine Gefahr und müssten kaltgestellt werden. Das war geradezu
ein Affront für ein solches Publikum begeisterter Bilderstürmer,
welche monatelang immer wieder unter den schmerzlichen Störaktionen
gewalttätiger Rollkommandos aus dem konservativen Winkel zu leiden
hatten. Doch in den letzten Tagen kamen ähnliche Zeichen der Mässigung
auch von konservativer Seite. So mahnte der Kommandant der Revolutionswächter,
General Safavi, der mit seinem Offizierskorps zu den Hauptstützen
der Rechten zählt, seine Truppen müssten um jeden Preis eine
politische Parteinahme vermeiden. Und Verteidigungsminister Shamkhani
unterstrich, dass die Bassij-Freiwilligen keinem politischen Lager verbunden
sein dürften. Bassij-Aktivisten zählten bisher zusammen mit
Hizbullah-Leuten regelmässig zu den antiliberalen Schlägertrupps
«im Namen der Revolution».
Die Zusammenstösse von Khorramabad
Solche Parolen für neutrales Pflichtbewusstsein der Ordnungshüter
sollen offenbar eine Abkehr von der jüngsten Vergangenheit markieren.
Im Sommer 1999 waren noch Polizeikräfte im Verbund mit Hizbullah-Schlägertrupps
in das Teheraner Studentenheim eingebrochen und hatten alles kurz und
klein geschlagen. Und die Justiz hatte später die verantwortlichen
Polizeioffiziere überaus glimpflich behandelt. Dafür lancierten
die Sondergerichtshöfe eine regelrechte Hexenjagd gegen liberale
Intellektuelle, Journalisten und ihre Zeitungen. Dutzende von Publikationen
wurden mittels gerichtlicher Verfügungen verboten, gegen tausend
Journalisten wurden arbeitslos. Die Krönung bildete am 6. August
eine schriftliche Weisung des Revolutionsführers Khamenei an das
Parlament, um diesem eine Lockerung des repressiven Pressegesetzes glatt
zu verbieten. Kurze Zeit später artete ein friedliches nationales
Studententreffen in Khorramabad mit Reformern als Gastrednern in die berüchtigten
blutigen Schlägereien mit rechten Provokateuren aus. In dem Klima
der Polarisierung beeilten sich sofort sämtliche Ableger des Staates,
ihre eigene Version der Wahrheit über jene Vorfälle sicherzustellen.
So jagte sich ein bald halbes Dutzend Untersuchungsausschüsse in
Khorramabad, unter ihnen Abgesandte der Justiz, der Ordnungskräfte
und natürlich auch des Parlaments.
Jedem seine Wahrheit
Der jüngste Untersuchungsbericht, der am Mittwoch veröffentlichte
Befund einer Kommission des Innenministeriums, legt diese Polaritäten
offen. So heisst es zwar, einige Redner hätten durch mangelnde Rücksicht
auf das religiöse Empfinden, lies durch offene Kritik an konservativen
Institutionen der Islamischen Republik, den Gewaltausbruch mit verursacht.
Aber dann werden die Gewalttäter offen genannt: «Einzelne Elemente,
die mit den Revolutionswächtern und den Bassij arbeiteten, waren
an den Gewalttaten beteiligt. Sie müssen dafür gerichtlich belangt
werden.» Auch dem Provinzgouverneur wird vorgeworfen, er habe die
Lage falsch eingeschätzt. Die Justizbehörde hatte auf Grund
ihrer eigenen Erhebungen die Hauptschuld an den Vorfällen auf die
Reformer, zuallererst auf den stellvertretenden Innenminister Tajzadeh
und seine Assistenten, geschoben und weiter den studentischen Veranstaltern
Fehler vorgeworfen. Es bleibt nun abzuwarten, ob der Untersuchungsausschuss
des Nationalen Sicherheitsrats, eines Gremiums unter dem Vorsitz Khatamis
mit Vertretern des Revolutionsführers sowie der Streit- und Sicherheitskräfte,
eine sachgemässe Beurteilung im Sinne der Mässigung vorlegt.
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