SoZ - Sozialistische Zeitung 28.09.2000 Karlsruhe: BGS plündert Asylbewerber aus Bei "verdachtsunabhängigen Kontrollen" maßt sich der Bundesgrenzschutz (BGS) immer neue Kompetenzen an. Mit der Karlsruher Rechtsanwältin Brigitte Kiechle sprach Gerhard Klas über die Auswirkungen. Im Sommer sind in Karlsruhe mindestens zwei Fälle bekannt geworden, in denen der BGS bei "verdachtsunabhängigen Kontrollen" im Hauptbahnhof Asylbewerbern bis auf 80 Mark den gesamten Bargeldbestand abgenommen hat. In einem Fall handelte es sich um einen türkischen Asylbewerber mit einer Arbeitserlaubnis, dem 1800 Mark beschlagnahmt, im anderen war es ein iranischer Asylbewerber, dem 220 Mark entwendet wurden. Handelt es sich dabei um Einzelfälle? In meiner Praxis als Rechtsanwältin sind mir zwei Fälle bekannt, bei denen es sich jeweils um Mandanten handelte. Ich gehe allerdings davon aus, dass sie nur ein Ausschnitt der tatsächlich vorgekommen Fälle sind. Der BGS selbst hat immerhin mitgeteilt, dass dies zur Zeit gängige Praxis sei. Auf welcher Rechtsgrundlage hat der BGS gehandelt? Er behauptet, diese Beschlagnahmeparaxis sei mit §7 des Asylbewerberleistungsgesetzes abgedeckt, wonach Asylbewerber verpflichtet sind, ihr Einkommen für die Kosten von Verpflegung und Unterkunft in den staatlichen Sammellagern einzusetzen. In Baden-Württemberg steht nach diesem Gesetz jedem Asylbewerber ein Taschengeld von 80 Mark zu. In Wirklichkeit hat der BGS keine Rechtsgrundlage, Geld von Flüchtlingen oder Asylbewerbern einzubehalten. Darüberhinaus hat er in keiner Form eine Rechtfertigung, wenn es sich um Flüchtlinge handelt, die Erwerbstätig sind und überhaupt keine Sozialhilfeleistungen beanspruchen. Von der Sache her ist §7 des Asylbewerberleistungsgesetz nichts anderes als die Bestimmungen nach dem Bundessozialhilfegesetz zum Einsatz des persönlichen Vermögens bei Sozialhilfebezug. Wenn das Sozialamt davon erfährt, dass jemand neben der Sozialhilfe einer nichtangemeldeten Arbeit nachgeht, kann es Rückforderungen stellen oder einen neuen Bescheid über die Höhe der Sozialhilfe erlassen. Aber es ist nicht Aufgabe des BGS, Gelder zu konfiszieren. Welche Rolle spielen dabei die "verdachtsunabhängigen Kontrollen"? Damit kann der BGS ohne konkreten Verdacht Passanten kontrollieren. Insbesondere dient diese Praxis der Flüchtlingsabwehr und der Überprüfung der Aufenthaltspapiere. Die Adressaten dieser Prozedur werden nach ihrem Gesicht, ihrer Hautfarbe ausgewählt. In diesem Zusammenhang weitet der BGS seine Kompetenzen aus und erklärt sich eigenmächtig zum Hilfssheriff für das Sozialamt. Sind auch Fälle aus anderen Bundesländern bekannt? Bisher nicht, obwohl ich das nicht ausschließen will. In den Grenzregionen, z.B. an der zu Frankreich, sind mit dem Wegfall der offiziellen Grenzen die Kontrollen innerhalb der EU bis 30 Kilometer ins Inland vorverlagert worden. Der BGS kontrolliert etwa alle Züge, die zwischen Basel und Mannheim verkehren. Die "verdachtsunabhängigen Kontrollen" richten sich auch dort gegen vermutete "illegale Einwanderung", Verletzung der sog. Residenzpflicht usw. Zunächst haben Sie mit einer Dienstleistungsbeschwerde reagiert. Gibt es außerdem noch Spielräume auf juristischer Ebene? Man kann natürlich Rechtmittel gegen die Beschlagnahmung des Geldes einlegen und mit einer Dienstleistungsbeschwerde gegen das Vorgehen der Beamten Einspruch erheben. Letzteres hat jedoch wenig Wirkung, ist dennoch notwendig, weil der Sachverhalt nochmals überprüft wird. Ansonsten gehe ich davon aus, dass es nicht nur notwendig ist, diese Praxis des BGS auf juristischer Ebene anzugehen, sondern sie überhaupt in der Öffentlichkeit bekannt zu machen und ihnen durch entsprechenden Druck auch Einhalt zu gebieten. Sind weitere Schritte geplant, um diesen öffentlichen Druck herzustellen? Es gibt in Karlsruhe ein Bündnis, das sich gegen Neofaschismus, Ausländerfeinlichkeit und Rassismus gegründet hat. Im Oktober sind Aktionen geplant, die vor allem den strukturellen Rassismus in dieser Gesellschaft, zu dem die "verdachtsunabhängigen Kontrollen" gehören, nur dadurch bekämpft werden können, indem die gesamten Sondergesetze gegenüber Ausländern und Flüchtlingen aufgehoben werden.
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