Frankfurter Rundschau, 2.10.2000 Barak und Arafat hilflos gegen Gewalt Erneut viele Palästinenser bei Unruhen getötet Bei den blutigsten Unruhen seit vier Jahren in den palästinensischen Autonomiegebieten sind am Wochenende mindestens 21 Palästinenser getötet und fast 600 weitere verletzt worden. Ein Telefonat zwischen Israels Regierungschef Ehud Barak und Palästinenserpräsident Yassir Arafat blieb ergebnislos. NABLUS/JERUSALEM/KAIRO, 1. Oktober (afp/dpa/rtr/ap). In vielen Städten des Westjordanlandes und im Gazastreifen lieferten sich zumeist jugendliche Palästinenser Straßenschlachten mit der israelischen Polizei. Allein am Samstag wurden bei den Straßenschlachten 16 Palästinenser getötet und rund 500 verletzt. Dabei war es in einer jüdischen Siedlung im Gazastreifen auch zu einem Schusswechsel zwischen israelischen Soldaten und palästinensischen Polizisten gekommen, bei dem fünf Palästinenser getötet wurden. Am Sonntag kamen weitere fünf Palästinenser ums Leben, unter ihnen zwei zehnjährige Kinder. Mehr als 70 Menschen wurden verletzt. Während die israelische Armee versicherte, mit Gummigeschossen zu schießen, warfen ihr die Palästinenser vor, scharf zu schießen und auf die Köpfe der Demonstranten zu zielen. In der Nähe des Grabs des Patriarchen Joseph in Nablus im Westjordanland beschossen sich am Sonntag bewaffnete Palästinenser und israelische Soldaten. Die israelische Armee setzte palästinensischen Berichten zufolge auch Hubschrauber mit Raketen ein. In den Reihen der israelischen Armee und Polizei gab es nach deren Angaben 26 Verletzte. Für Israelis wurde der Zugang zu den Autonomiegebieten gesperrt, wie die Armee mitteilte. Versuche, die Unruhen auf diplomatischem Wege zu beenden, scheiterten vorerst, obwohl Barak mit Arafat in ständigem telefonischen Kontakt stand. Barak erklärte, er werde es "nicht hinnehmen, dass die Gewalt zu einem Werkzeug im Friedensprozess" werde. Die palästinensische Autonomiebehörde verlangte von den Vereinten Nationen, die Zusammenstöße auf dem Haram al-Scharif, dem Jerusalemer Tempelberg, zu untersuchen. Dabei waren am Freitag sieben Palästinenser getötet worden. Die Unruhen hatten sich an dem Besuch des rechten Hardliners Ariel Scharon am Tempelberg entzündet, den die Palästinenser als Provokation auffassten. Die palästinensische Führung erklärte in ihrem Appell an die UN, wer sich für den Nahost-Friedensprozess einsetzen wolle, solle die israelische Regierung auffordern, "die Brutalitäten der israelischen Streitkräfte gegen den Haram al-Scharif und gegen unser Volk zu beenden". Die Armee müsse von dem Platz in Jerusalem sowie aus der Umgebung der palästinensischen Orte abziehen. Nach den jüngsten Zusammenstößen traf die Arabische Liga zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen. Generalsekretär Esmat el Meguid machte zum Auftakt des Treffens der 22 Ständigen Repräsentanten der Organisation den Scharon-Besuch für den Ausbruch der Gewalt verantwortlich. Der ägyptische Präsident Hosni Mubarak bedauerte nach Angaben der staatlichen Zeitung El Ahram die "verhängnisvollen Auswirkungen" der blutigen Auseinandersetzungen auf den Friedensprozess. Auch der russische Außenminister Igor Iwanow äußerte sich besorgt über die potenzielle Gefährdung des Nahost-Friedensdialogs.
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