Berliner Zeitung, 4.10.2000 Deutsche Firmen erwarten Aufträge in Milliardenhöhe aus dem Iran Wirtschaftsminister Müller rechnet mit kräftiger Belebung des Handels von Christian Schwägerl TEHERAN, 3. Oktober. Beim Geschäftemachen kennt der ehemalige Energiemanager Werner Müller kaum Tabus. "Im Ausland bin ich gerne der erste Repräsentant einer Firma, unabhängig davon, um wen es sich handelt", sagt der Bundeswirtschaftsministers. Am Donnerstag will Müller mit Spitzenvertretern der Wirtschaft besprechen, wie die Bundesregierung künftig aktiver und frühzeitiger Exportinteressen deutscher Unternehmen unterstützen kann. Während einer dreitägigen Reise in den Iran betätigte sich Müller jetzt bereits in dieser Rolle. Bei Staatschef Chatami, den Ministern für Energie, Öl und Handel, und beim Zentralbankchef machte er Lobbyarbeit für deutsche Unternehmen. Aus Sicht der mitreisenden Firmenvertreter hat sich der Trip mehr als gelohnt. Aufträge in Milliardenhöhe winken. "Wenn die deutsche Wirtschaft keine kapitalen Fehler macht, wird das hier eine große Sache", freut sich Wilhelm Bonse-Geuking, Vorstandschef der Veba Öl AG. Mit Neid beäugten etwa Briten und Amerikaner die guten deutschen Kontakte auf dem iranischen Markt. Riesiges Potenzial Als "Schurkenstaat" war das islamische Regime noch vor kurzem wegen Menschenrechtsverletzungen und mutmaßlicher Verwicklungen in den internationalen Terrorismus berüchtigt. Bis heute untersagt die US-Regierung ihrer Wirtschaft, Geschäfte mit den Mullahs abzuschließen. Das Verhältnis zwischen Rot-Grün und der iranischen Regierung hingegen hat sich in den vergangenen Monaten in raschem Tempo verbessert. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und sein Kabinett sind überzeugt vom Reformwillen und der Durchsetzungskraft von Präsident Chatami. Der revanchiert sich für die Anerkennung mit Vorfahrt für deutsche Unternehmen bei Investitionen. Viele Klagen deutscher Unternehmer im Iran räumte die iranische Regierung bereits im Vorfeld des Müller-Besuchs beiseite. Ein neuer Erlass des Finanzministeriums, so die Lesart der Experten, machte Schluss mit Willkürsteuern für Firmenrepräsentanten. Zudem zeichnet sich ab, dass ein neues deutsch-iranisches Investitionsschutzabkommen bereits Anfang 2001 in Kraft treten kann. Von einem Geheimkomitee im Handelsministerium hatten deutsche Repräsentanten berichtet - darin säßen Traditionalisten, die den Deutschen immer noch das Mykonos-Urteil übel nehmen und deshalb Geschäfte verhindern würden. "Wenn es dieses Komitee je gab, so wird es nach unserem Besuch bestimmt nicht weiter bestehen", sagte ein Mitarbeiter Müllers. Deutsche Manager sehen den Iran als Partner mit riesigem Potenzial. Geschäfte im Wert von 190 Millionen Mark (97 Millionen Euro) sind bereits für Hermes-Bürgschaften angemeldet. Doch das ist erst der Anfang: Die Cassenswerft GmbH baut in Emden für 300 Millionen Mark vier Spezial-Öltanker mit je 6 000 Tonnen Tragfähigkeit. Sie sollen als Shuttleschiffe auf dem Kaspischen Meer zum Einsatz kommen. Verträge sind bereits unterschrieben. "Wir reden auch über 60 000-Tonnen-Tanker", sagt Gesellschafter Wolfram Fritze. Einen großen Staudamm mit 1 000 Megawatt Leistung will ein deutsches Konsortium unter Führung der Philipp Holzmann AG am Dez-Fluss im Nordwesten des Iran bauen. Das Volumen beliefe sich auf eine Milliarde Mark, sagt der Auslandschef von Holzmann, Herbert Lütkestratköter. Kurzfristig habe die Regierung während des Müller-Besuchs Interesse signalisiert. Lange Wunschliste Im engeren Rennen sind deutsche Unternehmen auch beim Bau von zwölf Öl- und Gasblöcken mit insgesamt 2 500 Megawatt, die binnen zehn Jahren entstehen sollen. Wert: 2,5 Milliarden Mark. Weniger begeistert zeigte sich Wirtschaftsminister Müller hingegen vom Interesse von Siemens, das Kernkraftwerk Busher auszurüsten. Er fürchtet Ärger mit den Grünen. Auch mittelständische Unternehmen provitieren von dem neuen Schwung in den deutsch-iranischen Beziehungen: Textilmaschinen, Gelddruckmaschinen, Sanitärartikel, Alufelgenfabriken - die Wunschliste der Iraner ist sehr lang. Auf langfristige Geschäfte hofft die Veba-Öl. Am Kaspischen Meer exploriert das Gelsenkircher Unternehmen, zu dem Aral gehört, intensiv zusammen mit Shell. Im Vertrag sind für die Veba Optionen auf Ölfelder reserviert. Neben Kasachstan könnte das zweite Standbein der Veba in der kaspischen Region entstehen. Zudem sollen alte Ölförderanlagen renoviert werden. Unsicherheiten bleiben Wichtige Infrastrukturmaßnahmen stehen an: Die Iraner möchten ihr Telefonsystem modernisieren und ausbauen, endlich eine Abwasserentsorgung für die 15-Millionen-Stadt Teheran schaffen sowie Verkehrswege und öffentlichen Nahverkehr entwickeln. Gelegenheit zur Präsentation hat die deutsche Wirtschaft derzeit auf der Teheraner Handelsmesse. Bei seinem Besuch sagte Müller, nach dem starken Rückgang des Handelsvolumens von neun Milliarden Mark vor zehn Jahren auf etwa 2,5 Milliarden im letzten Jahr stehe nun eine Renaissance bevor. Um 25 Prozent sind die deutschen Exporte in den Iran im ersten Halbjahr 2000 bereits gestiegen. Doch Unsicherheiten und Risiken bleiben: So fragten sich die deutschen Manager während des Besuchs, ob vielleicht doch die Traditionalisten im Iran wieder die Oberhand gewinnen könnten. Auch Menschenrechtsverletzungen könnten das Klima wieder verschlechtern. Zudem gibt es Angst vor einem Ende des amerikanischen Iran-Boykotts nach der Präsidentenwahl im Herbst: "Wenn die Amerikaner hier rein dürfen, dann schauen wir in die Röhre", sagt ein Manager. Klima verbessert Das Volumen des Handels zwischen Deutschlands und Iran erreichte 1999 mit rund 3,1 Milliarden Mark einen Tiefstand. Die Ausfuhren betrugen rund 2,2 Milliarden und die Importe 900 Millionen Mark. 1992 war das Handelsvolumen noch fast dreimal so hoch. Das politische Klima für eine Belebung der deutsch-iranischen Beziehungen hat sich in jüngster Zeit jedoch merklich gebessert.
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