junge Welt, 04.10.2000 Kommentar Das Trampeltier Aufruhr in Palästina nicht nur von Scharon verursacht Das Bild des kleinen Mohammed, der sich in verzweifelter Angst an seinen Vater klammert, ist ein erschütterndes Zeitdokument. Sekunden später lebte er nicht mehr - totgeschossen aus einem Hubschrauber. Den Aufruhr in den Autonomiegebieten, aber auch in von Arabern bewohnten Gemeinden in Israel begegneten die israelischen Sicherheitskräfte mit brutaler Entschlossenheit. Eine neue Intifada soll mit allen Mitteln verhindert werden. Die Blamage, von Kindern und Jugendlichen in arge Bedrängnis gebracht zu werden, will sich die stärkste Militärmacht im Nahen Osten nicht wieder antun. Doch solange die Mittel, die dies verhindern sollen, militärische sind, wird der Aufruhr in den Köpfen bleiben und kann sich jederzeit wieder entzünden. Der Auftritt eines Elefanten im Porzellanladen war wohl nur der äußere Anlaß für den Gewaltausbruch. Ariel Scharon, Israels schwergewichtigster Rechtsextremer, wollte es sich nicht nehmen lassen, die hochsensible Jerusalem-Frage auf seine Weise zu beantworten und trampelte in militärischer Begleitung auf dem - den Moslems heiligen - Tempelberg herum, was in einer Region übergroßer religiöser Empfindlichkeiten natürlich zum Eklat führen mußte. Das war ja wohl auch beabsichtigt. Doch mit Scharons Expedition auf verbotenes Terrain allein ist die Intensität der Auseinandersetzung zwischen Israelis und Palästinensern nicht zu erklären. Diese blutige Konfrontation hat vielmehr deutlich gemacht, daß die Geduld der palästinensischen Bevölkerung am Ende ist und sie kaum noch Hoffnungen darauf setzt, daß der Friedensprozeß ihr nationales und soziales Schicksal entscheidend verbessern könnte. Der Staat, für den die Palästinenser Jahrzehnte gekämpft haben, kann unter diesen, von Israel diktierten Bedingungen nur als Mißgeburt das Licht der Staatenwelt erblicken. Demilitarisiert - und das an der Grenze zum hochgerüstetsten Staat der Region - mit israelischer Lufthoheit über seinem Territorium und Sicherheitskräften, die nur für Paraden und das Niederhalten der eigenen Bevölkerung geeignet sind. Es wird ein zerstückelter Staat sein, ohne ökonomische Potenzen und soziale Gestaltungskraft. Deshalb wird es auch weiterhin keinen Frieden geben in Nahost. Werner Pirker
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