junge Welt, 04.10.2000 Interview Wie steht es um die Familie Akyüz? junge Welt sprach mit Uwe Remus * Uwe Remus ist Rechtsanwalt der kurdischen Familie Akyüz F: Das Schicksal der kurdischen Familie Akyüz beschäftigt seit Monaten viele Menschen. Welchen Stand gibt es in dem laufenden Verfahren? Ich möchte zunächst zu einigen Behauptungen der Gerichte und der Stadt Wiesbaden kurz Stellung nehmen. Gegenüber der Öffentlichkeit wird immer wieder erklärt, Familie Akyüz sei nicht verfolgt, ihr Anliegen sei in über 30 Verfahren sorgfältig geprüft worden. Punkt 1: Mit dieser Zahl soll suggeriert werden, daß es sich bei der Familie um Querulanten handelt, die wegen jedem bißchen zum Gericht rennen, und daß ihr Anliegen 30mal überprüft worden ist. Diese Zahl ist demagogisch und falsch. Tatsache ist: Die insgesamt zwölf Personen umfassende Familie befindet sich in ihrem zweiten Asylverfahren. Punkt 2: Eine sorgfältige Prüfung des Verfolgungsschicksals hat es nicht gegeben. Es sind zwei Gutachten des in Frankfurt am Main ansässigen Psychosozialen Zentrums für Flüchtlinge und Opfer organisierter Gewalt vorgelegt worden. In diesen wird zwei Familienmitgliedern attestiert, daß sie in der Türkei Opfer sexueller Gewalt geworden und schwere Traumatisierungen feststellbar sind und daß weiterhin Selbstmordgefahr besteht. Wie hat das Gericht die Gutachten gewertet? Es erklärte knapp, sie seien zu spät eingereicht worden. Die Familienmitglieder hätten von Anfang an sagen müssen, daß sie vergewaltigt worden sind. Jeder, der sich nur ansatzweise mit der Situation von gefolterten Menschen beschäftigt und die entsprechende Forschung kennt, weiß, daß diese Auffassung nicht haltbar ist. Es gibt Erfahrungen aus der Zeit des Holocaust, die das untermauern. Opfer des NS-Terrors sind zum Teil bis heute nicht in der Lage, über ihre schrecklichen Erlebnisse zu sprechen. Heutigen Flüchtlingen vorzuwerfen, daß sie nicht gleich über Mißhandlungen, sexuelle Übergriffe und Folter reden, ist menschenverachtend und geht an der Realität vollkommen vorbei. F: Warum werfen Sie dem Verwaltungsgericht Wiesbaden vor, das Verfolgungsschicksal der Familie keiner sorgfältigen Überprüfung zu unterziehen? Bisher sind alle vorgebrachten Sachen, seien es Gutachten oder Zeugenaussagen, nicht gewürdigt worden. So sind z. B. auch neue Zeugen benannt worden, die das Verfolgungsschicksal von Familie Akyüz belegen können. Es handelt sich u. a. um einen Dorfbewohner, der nach Ablehnung seines Asylverfahrens abgeschoben wurde und dort dann erneut gefoltert worden ist. Im Verhör der türkischen Sicherheitskräfte wurde er nach Herrn Akyüz befragt. Diesem Mann ist inzwischen wieder die Flucht nach Deutschland gelungen, und er ist als Asylberechtigter anerkannt worden. Sein Fall ist von amnesty international ausführlich dokumentiert worden. Außerdem haben Journalisten des Stern und des ZDF das Verfolgungsschicksal von Familie Akyüz nachrecherchiert, sind im April und Mai diesen Jahres in die Türkei gefahren und haben mit verschiedenen Dorfbewohnern gesprochen. Das Gericht lehnt es ab, diese Zeugenaussagen zu berücksichtigen. Sie seien nicht von Bedeutung, weil sich die Dorfbewohner »abgesprochen hätten«. Alles, was belegt, daß die Familie in der Türkei schlimmster Verfolgung ausgesetzt war und sie Gründe hatte, aus dem Land zu fliehen, wird einfach beiseite gewischt. Auch die Tatsache, daß die zwei ältesten Söhne der Familie in der Türkei im Falle einer Abschiebung zum Militärdienst müssen, sie als Kurden aber nicht gegen ihr Volk eingesetzt werden wollen und deshalb schlimmste Repressionen zu befürchten sind, wird vom Gericht in dieser Weise »gewürdigt«. F: Wie ist die Situation, nachdem die Familie aus dem Kirchenasyl geflohen und untergetaucht ist? Das Verwaltungsgericht Wiesbaden prüft einen Punkt offenkundig tatsächlich »sehr sorgfältig«: Wie man das Verfahren möglichst geräuschlos beenden kann. Der zuständige Richter hat in der Zeitung gelesen, daß die Familie Ende August aus dem Kirchenasyl flüchten mußte und mich in einem Brief aufgefordert, die ladungsfähige Anschrift meiner Mandanten mitzuteilen. Er meint, weil meine Mandanten jetzt untergetaucht wären, hätten sie ja scheinbar kein Interesse mehr am Verfahren. Der Richter hat bisher immer nur nach Lage der Akten entschieden, er hat es nie für nötig gehalten, auch nur ein Wort mit der Familie zu sprechen. Nun wird also versu cht, das Verfahren »kalt« zu erledigen. Ich habe mitgeteilt, daß selbstverständlich ein großes Interesse daran besteht, das Verfahren fortzuführen und die Familie über mich jederzeit zu erreichen ist. Das Gericht brütet nun darüber, ob es diese Erklärung akzeptiert oder nicht. Wenn sie die Akten schließen, werde ich hiergegen einen Antrag stellen. Dann wird es eine mündliche Verhandlung geben. Zu dieser möchte ich schon jetzt alle Leute einladen, die sich mit dem Verfolgungsschicksal der Familie beschäftigt haben, um sich selbst ein Bild zu machen, wie in Deutschland Gerichte mit Schicksalen von Menschen umgehen. F: Welche rechtlichen Möglichkeiten - das Aussprechen einer Duldung wird z. B. vom Unterstützerkreis der Familie ins Spiel gebracht - gibt es? Natürlich könnte eine Duldung ausgesprochen werden. Die Ausländerbehörde der Stadt Wiesbaden und der CDU- Oberbürgermeister Hildebrand-Diehl wiederholen aber seit Monaten gebetsmühlenartig, daß sie keinerlei Ermessensspielraum hätten. Die Familie müsse abgeschoben werden. Für die hier Verantwortlichen besteht die Fürsorgepflicht für Familie Akyüz offenbar darin, dafür zu sorgen, daß die Familie lebend in das Flugzeug gesetzt wird und lebend in der Türkei ankommt, um dann die Verantwortung den türkischen Behörden zu übergeben. Dieses verkürzte Verständnis von Recht auf Leben und Gesundheit ist aus meiner Sicht untragbar und auch verfassungswidrig. Interview: Thomas Klein
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