SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.20 vom 28.09.2000 Greencard-Debatte Verschiedene Formen des Rassismus Die Debatte um die Einführung der Greencard hat in der Linken eine Auseinandersetzung eröffnet, die sich scheinbar zwischen den Polen "offene Grenzen" und "Verteidigung der sozialen Errungenschaften" bewegt. Allein die Entgegenstellung dieser Forderungen zeigt die Schieflage. Offenkundig reicht weder ein moralischer Standpunkt, noch einer, der die Privilegien eines Teils der Lohnabhängigen gegen die anderen verteidigt. Wir veröffentlichen nachstehend Auszüge aus Diskussionsbeiträgen, die uns erreicht haben, in der Hoffnung, Wege aus der Sackgasse zu finden. Das Schweigen über die legale "Illegalisierung" In die Diskussion über Einwanderung und Migration ist Bewegung gekommen. Die wesentiche Ursache dafür sind aber nicht Forderungen und Beschwrden der MigrantInnen zur Verbesserung ihrer Situation. Ursache sind vielmehr Forderungen aus der Industrie, die an dem seit 1973 bestehenden Anwerbestopp rüttelt und dessen Aufhebung, zumindest aber dessen Modifizierung verlangt. [.] Einwanderung ist eine Bereicherung 1. Einwanderung, insbesondere in wirtschaftlich reiche und blühende Gebiete und Staaten, ist keine neue Entwicklung. Seit Jahrhunderten wandern Menschen aus wirtschaftlich rückständigen Gebieten in solche, die prosperieren. Wer den Menschen das Recht auf Einwanderung verweigern will, verwehrt ihnen auch das Recht auf Auswanderung aus Gebieten bzw. Staaten mit wirtschaftlicher Not. Eine Politik, die Armut nicht bekämpfen, sondern ignorieren und gegen daraus resultierende Wanderungsbewegungen Dämme errichten will, ist nicht nur zum Scheitern verurteilt. Sie ist auch inhuman. 2. Menschen, die zu uns kommen, sind keine Belastung. Menschen sind Reichtum. Sie produzieren noch mehr Reichtum. Es kommt darauf an, sie von Anfang an gleichberechtigt aufzunehmen und zu integrieren. Wenn es nach der Propaganda der Konservative und Reaktionäre ginge, würden bei einer Aufhebung des Anwerbestopps Millionen Arme aus allen Weltgegenden in dieses Land strömen. Diese Propaganda ist verlogen und falsch. Bei der Süderweiterung der Europäischen Union hieß es, jetzt kämen Millionen Spanier, Portugiesen, Griechen usw. in das Land. Das Gegenteil war der Fall. Die Zurückdrängung von Armut und Repression in Südeuropa führte zu einer Rückwanderung von Menschen in diese Länder. Nicht anders wird es bei der Osterweiterung der EU sein, wenn die EU eine Politik der Angleichung der Lebensverhältnisse verfolgt. Außerdem: Wenn MigrantInnen von Anfang an gleichberechtigt sind, sinkt auch der Anreiz für Unternehmer, die diese Menschen vielfach nur deshalb im Ausland rekrutieren, weil sie damit bei uns bestehende soziale und gewerkschaftliche Standards umgehen bzw. aufheben wollen. 3. Allmählich wächst die Einsicht, dass die Bundesrepublik schon aus demographischen Gründen in den kommenden Jahren Einwanderung braucht. In den vergangenen zehn Jahren sind etwa zwei Millionen Menschen mehr in die Bundesrepublik eingewandert als ausgewandert. Mehr als die Hälfte davon kamen in den Jahren 1990 bis 1992. Seitdem ist die Einwanderung rückläufig, in den Jahren 1996 und 1997 sogar negativ. Die bundesdeutsche Bevölkerung ist schon jetzt überaltert und wird nach demographischen Schätzungen in den nächsten 20 bis 30 Jahren absolut stark zurückgehen und zugleich im Durchschnitt noch älter werden. Schon allein deshalb ist nach Schätzungen von UN-Experten eine jährliche Netto-Zuwanderung von mindestens 500.000 Menschen erforderlich. Staatsbürgerschaftsreform gescheitert Im Vordergrund der Diskussion um eine moderne Einwanderungs- und Migrationspolitik muss eine Korrektur der falschen Politik gegenüber den Millionen Flüchtlingen und MigrantInnen stehen, die schon seit vielen Jahren bei uns leben. Die rot-grüne Reform des Staatsbürgerschaftsrechts ist praktisch schon jetzt gescheitert. Die Einbürgerung, die Gleichberechtigung der fast acht Millionen MigrantInnen, kommt nicht voran. Die bürokratischen Schikanen, die Verfünffachung der Gebühren für die Einwanderung, das Verbot der doppelten Staatsbürgerschaft, das noch weitergehht als unter der alten Regierung, und andere Hindernisse, führen zu einer Stagnation, wenn nicht sogar zu einem Rückgang der Einbürgerungszahlen. 1. Erforderlich ist deshalb ein neuer Anlauf zu einer demokratischen Reform des Staatsbürgerschaftsrechts, ein Anlauf, der diesmal nicht gegen, sondern mit den bei uns lebenden MigrantInnen stattfinden muss. 2. Erforderlich sind ebenfalls aktive und demokratische Integrationsprogramme, um die Isolierung und Diskiminierung der hier lebenden MigrantInnen zu beenden. Integrationsprogramme, wie sie bei uns bisher nur für Aussiedler praktiziert werden, wie sie in den Niederlanden für alle Zuwanderer längst üblich sind und wie sie jüngst auch der Städte- und Gemeindebund zu Recht gefordert hat. Die Diskriminierung der MigrantInnen und Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt muss ersatzlos abgeschafft werden. [.] Wieso haben bei uns nur ausgewählte Minderheiten wie die dänische, wie Sorben, Friesen und Roma/Sinti Minderheitenrechte, nicht aber die Millionen anderen MigrantInnen? Selbst die UNO hat diese Ungleichbehandlung kritisiert. Wir fordern gemeinsam mit dem DGB und anderen Kräften: Allen hier lebenden Minderheiten muss das Recht und die Möglichkeit gegeben werden, ihre Kultur, Sprache und Religion zu pflegen. 3. Grundlage der diskriminierenden, rassistischen und inhumanen Politik ist seit Jahrzehnten das Ausländergesetz. Die PDS tritt . für die ersatzlose Abschaffung dieses Gesetzes ein. Sie fordet die Aufhebung aller Bestimmungen, Gesetze und Verordnungen, die Menschen nichtdeutscher Herkunft diskriminieren. Das gilt auch für den Familiennachzug. Sie fordert ein Anti-Diskriminierungsgesetz. Gastarbeiterpolitik unter neuer Fassade 1. Nach unserer Meinung kann der 1973 verhängte Anwerbestopp vollständig aufgehoben werden. Wer einen Arbeitsvertrag vorweisen kann, gleichgültig in welcher Branche, soll ungehindert einreisen können. Aber zu einer solchen Freigabe der Einwanderung gehört zwingend auch die strikte Gleichberechtigung der EinwanderInnen von Anfang an. Die UN-Konvention für Wanderarbeiter, die eine strikte Gleichberechtigung für Wanderarbeiter mit den Menschen in den Anwerbeländern verlangt, muss von der Bundesregierung endlich ratifiziert und umfassend umgesetzt werden. Menschen, die zu uns kommen, müssen ein festes Niederlassungsrecht haben und gleichberechtigt sein, d.h. auch umfassendes Wahlrecht haben. Sie müssen nach wenigen Jahren, in der Regel nach drei Jahren, das Recht haben, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erwerben. Das diskriminierende Verbot der doppelten Staatsbürgerschaft muss aufgehoben werden. 2. Wenn Konservative und Reaktionäre sagen, bei einer Aufhebung des Anwerbestopps würden Millionen Arme zu uns kommen, antworten wir ihnen: "Sie sind schon da!" Schaut euch doch um in den Küchen und Spülecken der feinen Gaststätten, in denen ihr speist, bei den Putzkolonnen, die eure Büros und Wohnungen sauber halten, auf den Weinbergen, in der Landwirtschaft, auf den Baustellen, bei all den schmutzigen und schlecht bezahlten Jobs in diesem Land! Der Ausbreitung von immer mehr "schmutzigen" Arbeitsverhältnissen in diesen und anderen Branchen durch brutale Ausnutzung der Rechtlosigkeit von Menschen . muss endlich offensiv entgegengetreten werden. Es gibt Schätzungen, nach denen inzwischen eine Million oder noch mehr "Illegale" in diesem Land leben und arbeiten. Viele wurden illegal rekrutiert, andere gerieten durch die restriktive "Ausländer- und Asylpolitik" und persönliches Unglück in die sogenannte "Illegalität". 3. Die PDS fordert, diesen Menschen durch eine "Stichtagsregelung" (wie in Spanien, Frankreich und anderen EU-Ländern und in den USA praktiziert) die Möglichkeit zu geben, sich ungestraft melden und "legalisieren" zu können und damit ein Aufenthaltsrecht zu erwerben. Im Übrigen vertreten wir den Grundsatz: Wer sechs monate nach Einreise seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten kann, soll Aufenthaltsrecht haben. Giyas Sayan Giyas Sayan ist Sprecher der AG MigrantInnenpolitik der PDS.X2 Eine gerechte Weltwirtschaftsordnung Mit dem Greencard-Vorstoß wird ein Instrument neu diskutiert, das man schon in der Mottenkiste verschwunden sah: ein Einwanderungsgesetz. Den großen Wirtschaftsverbänden geht es um einen regulierten Zugang zum Arbeitsmarkt bzw. um eine regulierte Verwertung von Arbeitskraft. Ihr Modell eines Migrations- und Grenzregimes ist das einer gezielten und selektiven Steuerung von Einwanderung und nicht das einer rigorosen Abschottung. In diesem Sinn ist das Kapital liberaler als der deutsch-nationale Populismus. Dass dieser Umgang mit Einwanderung wenig mit Humanität zu tun hat, dafür umso mehr mit den Erfordernissen des Arbeitsmarkts, das hat die laufende Diskussion in dankenswerter Klarheit deutlich gemacht. Zuwanderungsbegrenzungsgesetz heißt folgerichtig auch der Gesetzentwurf, den die FDP gern im Bundestag diskutieren möchte. Dabei bedient man sich unverblümt der utilitaristischen Rhetorik. Die Worte "brauchen" und "nutzen" bilden Begriffspaare mit "Auslese" und "nationalem Interesse". Die Debatte zeigt auch noch eine andere Gefahr: CDU und CSU fordern ein Einwanderungsgesetz bei gleichzeitiger Abschaffung des Asylrechts. Schily will offenbar auf diesen Zug aufspringen. [.] Vor zehn Jahren haben die Grünen ein quotenbewehrtes Einwanderungsgesetz als Zuwanderungsbegrenzungsgesetz abgelehnt. Damals wie heute war richtig, dass es keines Einwanderungsgesetzes mit Quotenregelungen bedarf, um Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlingen und Menschen, die vor geschlechtsspezifischer Verfolgung fliehen, einen sicheren Zugang ohne das Nadelöhr des Asylverfahrens zu ermöglichen. Wenn die Greencard-Diskussion eins zeigt, dann das, dass es gerade heute keine emanzipatorische Bezugnahme auf ein Einwanderungsgesetz geben kann. Es bleibt uns also gar nichts anderes übrig, als die Forderung nach offenen Grenzen zum Ausgangspunkt unserer Argumentation zu machen. Denn wenn im globalisierten Kapitalismus das Kapital schon international ist, muss dies auch für den Faktor Arbeit gelten. Für uns als SozialistInnen stellt sich hier die Frage nach einer gerechten Weltwirtschaftsordnung. [.] Franz Mayer Neue Bündnispolitik nötig Wie die Greencard von uns einzuschätzen ist? Die erste Antwort kann nur lauten: positiv, sehr positiv. Was alle gutgemeinten Initiativen und Argumente von den Lichterketten bis zum "Ausländer sind eine Bereicherung für Deutschland" nicht erreichten, das hat Schröders Greencard fertiggebracht: Die gängige rassistische Ideologie, die öffentlich und in allen Ritzen unserer Gesellschaft dominiert, ist angeschlagen, desorientiert, verunsichert. "Das Boot ist voll"? Von wegen: unterbesetzt ist es. Mit Computer-Indern verkehrt man nicht in Baustellen-Deutsch, sondern in Englisch. Man ist auf sie angewiesen, damit Deutschland in der Standort-Konkurrenz mithalten kann. Für unseren ideologischen Kampf gegen den Rassismus haben sich die Parameter verändert. Und zwar verbessert. Das gilt es als erstes festzuhalten. Der herrschende Rassismus muss und wird ideologisch umdisponieren. Die rassistischen Institutionen und Gesetze, die rassistischen Gesellschaftsstrukturen und kulturellen Erscheinungen sind nicht erschüttert - aber sie müssen umgepolt werden: Diskriminierung darf dem "Standort", d.h. der Kapitallogik nicht schaden. Als zweites gilt es zur Kenntnis zu nehmen: Diese Klimaveränderung ist keinem antirassistischen Druck unserer Bewegung und keiner antirassistischen Einsicht der Regierung geschuldet. Es sind die Kapitalverwertungsinteressen, die sich direkt durchsetzen und den störenden rassistischen Klimbim ungeduldig vom Tisch wischen. Die Arbeiterklasse und ihre Gewerkschaften sind im Grunde dagegen; sie hat es genauso kalt erwischt wie die Linke. Das ist keine "verkehrte Welt". Im Gegenteil. Kapitalisten und Lohnabhängige manifestieren ihre "wohlverstandenen Interessen". Was unsere "Bündnispolitik" angeht, so müssen wir die Karten halt endlich neu mischen. Das führt zur dritten unangenehmen Evidenz: Die wirtschaftlichen Auswirkungen von Greencard oder gar "offenen Grenzen" sind negativ für die Lohnabhängigen in Deutschland (außer für die neu Hinzukommenden). [.] Die Kapitalisten sind gegen rassistische Diskriminierung, weil sie dem "Standort" schadet. Wir sind andererseits aber nicht deshalb gegen rassistische Diskriminierung, weil sie den Lohnabhängigen wirtschaftlich schadet ("Rassismus spaltet/schwächt die Arbeiterklasse"). Denn dann würden wir das Problem Rassismus der Logik der Warenwirtschaft unterordnen, genauso wie die Kapitalisten. Und wir hätten im Übrigen auch Unrecht: In der Regel macht der Lohnabhängige in Deutschland die Erfahrung, dass der gesellschaftliche und institutionalisierte Rassismus ihm ökonomisch nützt: und nicht schadet. Rassismus spaltet nicht die Arbeiterklasse in Deutschland, Rassismus eint sie. Viertens: Arbeiterinteressen sind genauso schädlich wie Kapitalinteressen! Den Rassismus kann man genauso wenig bekämpfen wie das Patriarchat oder die Umweltzerstörung oder gar den Kapitalismus, wenn man gleichzeitig die Klasseninteressen der Lohnabhängigen verteidigt in der Logik der Warenwirtschaft (höhere Löhne) und des bürgerlichen Sozialstaates (Erhalt der "Errungenschaften", der "Standards"). Wenn wir Forderungen finden müssen, "die alle Benachteiligten zusammenbringen, statt sie auseinander zu treiben", dann dürfen wir nicht von den ökonomischen Interessen "aller Benachteiligten" auf dem Markt ausgehen, denn hier sind sie Konkurrenten. Wir dürfen überhaupt nicht von (marktwirtschaftlichen) Interessen ausgehen. Marx lag da falsch: Die Klasseninteressen der Proletarier sind nicht zugleich die Interessen der Menschheit, sondern immer nur die einer konkurrierenden Klasse in der Warenwirtschaft. Die Begründung für Antirassismus kann nur moralisch sein oder philosophisch, nie wirtschaftlich. Auf der moralischen Ebene müssen wir "alle Benachteiligten" zusammenbringen, auch gegen ihre jeweiligen Interessen. Gerade die Lohnabhängigen in Deutschland können mit den rassistisch Diskriminierten keine Solidarität "im Eigeninteresse" entwickeln aufgrund ihrer Funktion im warenförmigen Produktions- und Konsumtionsprozess. Shahla Blum predigt seit 15 Jahren: Solidarität gegen Rassismus gibt es für uns nicht zum Nulltarif. [.] Ingo Speidel |