Financial Times Deutschland, 06.10.2000 Sehnsucht nach Satans Coke Von Silke Mertins, Teheran Der "große Satan" hat im Zentrum von Teheran gelebt: Inmitten eines großzügigen Parks residierten die US-Diplomaten in einem Gebäude aus Back- und Sandstein, abgeschirmt durch eine vier Meter hohe Mauer. Auch 21 Jahre nach der Islamischen Revolution - damals wurde der Schah gestürzt - prangen kämpferische Parolen am Haupttor der ehemaligen Botschaft: "Down with USA." In einem Gemälde an der Mauer haben sich die amerikanischen Stars und Stripes in eine Räuberpistole verwandelt, das Gesicht der Freiheitsstatue in einen Totenkopf. Das Feindbild der imperialistischen Großmacht ist in den iranischen Propaganda-Abteilungen so lebendig wie 1979, als die US-Botschaftbesetzt wurde. Die Iraner, die an diesem Vormittag unweit der ehemaligen Heimstätte des Satans an der Bushaltestelle warten, haben den Umsturz nicht bewusst miterlebt; 70 Prozent der Iraner sind jünger als 30 Jahre. Für sie sind die USA nicht der Satansstaat, sondern das Land, das so begehrte Marken wie Nike, Coca-Cola oder Microsoft hervorgebracht hat. Hollywood Filme unterm Ladentisch Die Verbindung zu den vermeintlichen Erzfeinden ist ohnehin nie ganz abgerissen; rund zwei Millionen Iraner leben in Nordamerika. "Spätestens eine Woche nach der Hollywood-Premiere sind die Filme auch hier unterm Ladentisch zu haben", sagt eine junge Iranerin. "Und fast alle Studenten träumen von einer Ausbildung in den USA." Groß war die Aufregung, als am Botschaftsgebäude plötzlich Renovierungsarbeiten begannen. Kommen die Amerikaner etwa zurück in den Iran, den sie erst vor wenigen Wochen - in der offiziellen Sprachregelung - vom "Schurkenstaat" zum "Sorgenstaat" hochgestuft hatten? Ein Seiteneingang steht sperrangelweit offen; Bauarbeiter gehen ein und aus. Offiziell heißt es, Teile des stattlichen Gebäudes würden demnächst als Büros vermietet. Wahrscheinlich stimmt das sogar. Denn eine allzu schnelle Annäherung würde Satan wie Schurken überfordern: Konservative beider Länder beharren auf dem Status quo. Dennoch häufen sich Zeichen, dass sich die USA und Iran annähern und die Kontaktsperre nach mehr als zwei Jahrzehnten zu Ende steht: Seit März erlauben die USA wieder den Import von iranischen Pistazien, Teppichen undKaviar. An einer Uno-Konferenz zu Afghanistan nahmen vor wenigen Wochen erstmals sowohl die US-Außenministerin Madeleine Albright als auch ihr Amtskollege Kamal Charrazi teil - so nah waren sich die Länder schon lange nicht mehr gekommen. Und im Frühjahr sagte Albright sogar, sie bedaure die CIA-Beteiligung am Sturz des Premierministers Mohammed Mossadegh, der 1953 die Rückkehr des Schahs an die Macht ermöglichte. Europäisches Einflussgebiet Die Europäer, die das ölreiche Land mit seinem Markt von 68 Millionen Menschen schon seit Jahren als ihr Einflussgebiet betrachten, verfolgen diese Entwicklung mit Argwohn. Vor allem den Deutschen passt die amerikanische Konkurrenz nicht; nach dem Ende des Mykonos-Prozesses, der die Beziehung der Länder schwer belastet hatte, und der Freilassung des deutschen Geschäftsmannes Hofer hatten sie auf glänzende Aufträge gehofft - zumal die Staatskassen Irans wegen des hohen Ölpreises prall gefüllt sind. "Wir stehen, wenn alles gut geht, vor einer Renaissance unserer wirtschaftspolitischen Beziehungen", sagte Wirtschaftsminister Werner Müller, der in dieser Woche mit einer hochrangigen Wirtschaftsdelegation Iran besuchte. Die traditionelle Verbundenheit der beiden Länderreiche bis zum Anfang des vorigen Jahrhunderts zurück, doziert er in der deutschen Botschaftsresidenz, einem Flachbau mit dem Charme einer Kreissparkasse. "Den Deutschen wird in Iran ungeheure Sympathie entgegengebracht", schwärmt ein Diplomat. Flankiert von Porträts des jugendlichen Helmut Kohl und des in die Jahre gekommenen Helmut Schmidt, die auf dem Klavier unter hellroten Gladiolen drapiert sind, beschwören sie an diesem Tag die amerikanische Chancenlosigkeit herauf. Iraner wollen fortgeschrittenste Technik "Ich fürchte die Amerikaner nicht", behauptet Hans-Olaf Henkel, Präsident der Bundesverbands der Deutschen Industrie. Doch dann wird, bei Bier und Wein, Klartext geredet. "Die Iraner wollen die fortgeschrittenste Technik", gibt Siemens-Manager Klaus Voges zu bedenken. Nach wie vor haben die USA in der Informationstechnologie und der Ölbranche die Nase vorn. "Sie bereiten sich vor, um bei der Lockerung der Sanktionen eine gute Startposition zu haben", sagt ein Manager. Noch aber ist die deutsche Präsenz im Iran geradezu übermächtig. Auf der Handelsmesse, die in dieser Woche in Teheran stattfindet, ist die deutsche Wirtschaft mit mehr als 120 Firmen vertreten. Wie Rüden, die ihr Revier markieren, laufen die Unternehmensvertreter in der deutschen Halle herum - mit Erfolg. Allein während des dreitägigen Müller-Besuchs summieren sich die in Aussicht gestellten oder abgeschlossenen Aufträge auf bis zu 5 Mrd. DM. Amerikanische Unternehmen dürften eigentlich gar nicht vertreten sein. Der Messeplan aber verzeichnet in Halle 31 und 41B US-Firmen. Tatsächlich gibt es dort ein halbes Dutzend kleinerer Vertretungen, die über ausländische Tochterfirmen oder Mittelsmänner agieren. Doch der dezente Auftritt täuscht. "Die Amerikaner kommen ständig, sie reisen mit Pässen aus Singapur, Kanada oder sonst wo her und machen mit den Iranern völlig ungeniert Geschäfte", murrt ein in Teheran lebender deutscher Geschäftsmann. Die reformorientierte iranische Regierung braucht dringend ausländische Investitionen. Die US-Sanktionen, schätzen Experten, mindert das Wachstum des Landes um mindestens zehn Prozent. Mehr als die Hälfte der Iraner sind arbeitslos, jedes Jahr kommen bis zu 800.000 Jobsuchende hinzu. "Die Situation birgt enormen sozialen Sprengstoff", sagt ein deutscher Banker. "Das lässt die Investoren nicht unbeeindruckt." Drei Jahre nach dem Amtsantritt von Präsident Mohammed Chatami will die Bevölkerung wirtschaftliche und demokratische Erfolge sehen. Und mehr Freiheit. Die nehmen sich viele junge Leute, die die Bevormundung der Mullahs satt haben, inzwischen selbst: Das bodenlange schwarze Tuch, der Tschador, dominiert längst nicht mehr das Straßenbild. Bei vielen keineswegs dezent geschminkten Frauen ist bereits der halbe Haarschopf zu sehen, so weit ist das Kopftuch zurückgerutscht. Die jüngste Provokation gegen die Wächter der Revolution: nackte Füße mit lackierten Nägeln in Sandalen. Im Baba Bosor, einem mit orientalischen Kacheln ausgestatteten Teehaus am Vali-ye-Asr-Platz, sitzen unverheiratete Paare flüsternd undkichernd beieinander. Sogar unbegleitete Gruppen von Frauen treffen sich hier zum Plaudern und Kuchenessen. An der Wand hängt das Bild einer Iranerin, deren Bekleidung kaum den islamischen Kleidervorschriften entspricht. Auch Präsident Chatami, dessen Foto auch im Baba Bosor nicht fehlt, setzt auf eine Öffnung: Er bemüht sich um Kontakte zum Westen. Vor allem die Ölbranchebedarf dringend ausländischer Investitionen. Schon jetzt muss rund ein Drittel des Benzins re-importiert werden, weil das Land zu wenige funktionstüchtige Raffinerien besitzt. Sollte die Produktion in Iran gar ausgeweitet werden - in den westlichen Provinzen sind neue Öl- und Gasvorkommen entdeckt worden -, wird der Markt noch attraktiver. So drängen vor allem die US-Firmen, die nicht außen vor bleiben wollen, auf eine Aufhebung der Sanktionen. Auch Iran, das Mitglied der Welthandelsorganisation werden möchte, ist darauf bedacht, die Kontakte wieder zu pflegen. Öffentlich üben sich Politiker freilich noch in Zurückhaltung. Auf die Frage, ob er gerne wieder Geschäfte mit den Amerikanern machen würde, schmunzelt Wirtschaftsminister Hossoin Namazi, hebt die Hände und sagt: "Dafür bin ich bin nicht zuständig."
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