Financial Times Deutschland, 07.10 2000 Acht Palästinenser sterben am "Tag des Zorns" Nach einem Tag Ruhe ist am Freitag der Palästinenser-Aufstand wieder aufgeflammt. Bei Zusammenstößen am Tempelberg in Jerusalem sowie im Westjordanland und im Gaza-Streifen wurden acht Palästinenser getötet und 27 Palästinenser sowie 24 israelische Polizisten verletzt. Die Zahl der Toten bei den seit Jahren schlimmsten Unruhen erhöhte sich damit auf 77. Die israelische Armee riegelte am Freitagmorgen nach eigenen Angaben die Palästinenser-Gebiete für die nächsten vier Tage ab. Die radikal-islamische Hamas rief den Freitag zu einem "Tag des Zorns" auf. Tausende Jordanier und Syrer zeigten sich bei Demonstrationen solidarisch mit den Palästinensern. In Jerusalem setzten Palästinenser eine israelische Polizeiwache am Löwentor in Brand, einem Zugang zum Tempelberg in der Altstadt. Ein Polizeisprecher sagte, Jugendliche hätten dann eine Tränengasgranate in die Wache geworfen und das Schloss unbrauchbar gemacht, damit die Beamten nicht fliehen konnten. Andere Beamten hätten trotz massiven Steinhagels das Schloss schließlich zerschossen und ihre Kameraden gerettet. Die Unruhen brachen wieder nach dem Freitagsgebet aus. Auf dem Tempelberg hatten Angehörige der Verwaltung der beiden dortigen Moscheen und der Jerusalem-Beauftragte der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), Faisal el Husseini, persönlich Steinwürfe auf jüdische Gläubige an der Klagemauer verhindert. Polizei verringert Präsenz Um die Lage zu entschärfen, hatte auch die Polizei ihre Präsenz am Tempelberg verringert und die Gläubigen evakuiert. In der vorigen Woche hatte sie auf Steinwürfe gleich mit scharfen Schüssen reagiert. Vier Palästinenser starben. Die folgenden Unruhen erfassten das ganze Westjordanland und den Gaza-Streifen. Zwei Palästinenser wurden Ärzten zufolge bei einem Schusswechsel zwischen israelischen Soldaten und Demonstranten in der Nähe der jüdischen Siedlung Elon Moreh bei Nablus getötet, ein weiterer in Tulkarm, das ebenfalls im Westjordanland liegt. Im Gaza-Streifen kamen nach Angaben des Roten Halbmonds zwei Männer an der Kreuzung bei der jüdischen Siedlung Netsarim ums Leben, wo erneut mehr als tausend Menschen demonstrierten. In Jerusalem kam nach Krankenhausangaben ein Palästinenser ums Leben. Bei Unruhen in Hebron wurden 20 Menschen verletzt. Die Proteste entzündeten sich vor mehr als einer Woche an einem Besuch des rechts-konservativen israelischen Oppositionsführers Ariel Scharon auf dem Tempelberg. Der Tempelberg gilt Juden und Moslems aus religiösen Gründen heilig. Ein Nahost-Friedensabkommen war bislang unter anderem am beiderseitigen Anspruch auf die Hoheit über dieses Gebiet in der Altstadt von Jerusalem gescheitert. Ausschreitungen auch in Jordanien und Syrien Zu erneuten Ausschreitungen kam es am Freitag auch in Jordanien und Syrien. In der jordanischen Hauptstadt Amman zog ein Protestmarsch zur israelischen Botschaft und wurde kurz davor von der Polizei mit Tränengas gestoppt. Hier und bei weiteren Protesten in zahlreichen Städten sowie einem palästinensischen Flüchtlingslager nahm die Polizei nach eigenen Angaben mehr als hundert Menschen fest. In der syrischen Hauptstadt Damaskus wurden bei Zusammenstößen mit der Polizei nach offiziellen Angaben mehrere Menschen verletzt. Die Polizei verhinderte ihren Marsch vor die amerikanische Botschaft. Die USA haben nach eigenen Angaben ihre Vertretungen in allen arabischen Ländern für die nächsten Tage geschlossen.
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