Süddeutsche Zeitung, 07.10.2000 Die ewige Suche nach dem ewigen Frieden Israelis und Palästinenser sind in ihrem Konflikt bestenfalls reif für Zwischenlösungen / Von Heiko Flottau "In dieser Übereinkunft gibt es nichts, was wir akzeptieren könnten." Es war Ägyptens Außenminister Mohammed Ibrahim Kamel, der mit solch kritischen Worten am 16. September 1979 das kurz vor der Vollendung stehende ägyptisch-israelische Friedensabkommen von Camp David ablehnte und seinen Dienst quittierte. Momente voller Resignation und Verzweiflung hat es in der über zwei Jahrzehnte dauernden Suche nach Frieden oft gegeben - zuletzt in der Nacht zum 5.Oktober 2000. Jassir Arafat war drauf und dran, die Pariser Verhandlungen mit den Worten zu verlassen: "Ihr wollt mich erniedrigen. Trotz solch dramatischer Augenblicke ist der Friedensprozess nie wirklich ganz gestorben - wenn auch zwischen Camp David und dem ersten palästinensisch-israelischen Abkommen von Oslo 14 Jahre liegen. Und: Aus der Übereinkunft, in der Ibrahim Kamel "nichts Akzeptables" fand, ist schließlich doch ein zwar nicht sehr herzlicher, aber immerhin dauerhafter Friede zwischen zwei verfeindeten Staaten geworden. Niemand kann daher heute mit Gewissheit sagen, dass ein Abkommen zwischen Israelis und Palästinensern außer Reichweite liegt. Allerdings ist die Zeit gekommen, einige Illusionen beiseite zu räumen. Europa erreichte nach 1945 jenen friedlichen Endzustand, nach dem der Nahe Osten seit Jahrzehnten sucht. Doch im Land zwischen Bagdad und Algier, Aden und Damaskus, Jerusalem und Ramallah sind die Bedingungen für eine Pax Eterna, für einen ewigen Frieden, noch lange nicht gegeben. Selbst wenn Israelis und Palästinenser in absehbarer Zeit doch noch ein Übereinkommen erzielten - es kann nur eine Zwischenlösung werden. Zu tief sitzen die physischen und die psychologischen Wunden, die ein Jahrhundert der Konfrontation mit sich brachte. Zu unlösbar erscheinen manche Probleme - etwa die Rückführung oder Entschädigung von Flüchtlingen. Zu verstrickt sind viele Araber in ihren Minderwertigkeitsgefühlen gegenüber dem zivilisatorisch übermächtigen Israel. Anders als in Europa mit seinen ausgereiften, selbstbewussten und demokratisch geprägten Kulturen suchen die Nationen und Gesellschaften des Nahen Ostens noch nach innerer Balance und nach einem gleichberechtigten Miteinander. Erschwert wird diese Suche durch die Tatsache, dass alle Staaten der Region koloniale Gründungen von Briten und Franzosen sind. Das fehlende innere und äußere Gleichgewicht und die sich daraus ergebenden Spannungen werden sich noch lange in politischen und auch gewaltsamen Konfrontationen entladen. Friedlicher Endzustand, Ende der bisherigen Geschichte? Eine schöne Vision am Horizont, aber noch nicht mehr. Das zeigt die Realität. Diese Realität hat Israelis und Palästinenser genau an jenem Tag eingeholt, als Ehud Barak den Palästinensern erstmals eine gewisse Hoheit über ihr "Al-Quds", über ihren Teil Jerusalems zugestehen wollte. Ariel Scharons politischer Ausflug auf den Tempelberg, den die Araber "heiligen Bezirk nennen, hat aller Welt gezeigt, wie schnell an dieser Bruchstelle zwischen jüdischer und muslimischer Kultur aus Waffenstillstand Krieg werden kann. Mit seiner Exkursion wollte Scharon diesen Bezirk auf Dauer für Israel in Beschlag nehmen - und hat ihn wahrscheinlich für sein Land verspielt. Kein arabischer Staatsmann wird jetzt noch in der Lage sein, über den Status von Ost-Jerusalem Kompromisse zu schließen. Mit der Erstürmung des Tempelbergs wollte Scharon auch die Gründung eines palästinensischen Staates erschweren - und hat sie eher beschleunigt. Denn wer macht Arafat jetzt noch klar, dass es sich um des Friedens willen lohnt, die Staatsgründung noch einmal aufzuschieben? "Nichts, was wir akzeptieren könnten" fand Ibrahim Kamel im ägyptisch-israelischen Vertrag von Camp David. Im Abkommen, über welches Israelis und Palästinenser heute streiten, finden sich ebenfalls viele für beide noch unakzeptable Passagen. Derzeit bleibt nur die vage Hoffnung, dass die Verhandlungen dennoch zur Quelle von Frieden werden. Wie einst in Camp David.
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