Süddeutsche Zeitung, 10.10.2000 Unruhen gehen trotz Israels Ultimatum weiter Verzweifeltes Ringen um Frieden im Nahen Osten Annan und Iwanow reisen ins Krisengebiet / Clinton plant Gipfeltreffen / EU will Gefangenen-Austausch vermitteln / Von Thorsten Schmitz Jerusalem - Die internationalen Bemühungen um eine Beilegung der blutigen Unruhen in Israel und den Palästinensergebieten sind am Montag verstärkt worden. Zugleich wurde wegen der Freilassung dreier israelischer Soldaten verhandelt, die am Samstag von Hisbollah-Milizen im Südlibanon gefangen genommen worden waren. Das von Israels Premier Ehud Barak gestellte Ultimatum, Palästinenserpräsident Jassir Arafat solle bis Montagabend für Ruhe in den Palästinensergebieten sorgen, verstrich zunächst ohne Auswirkung. Barak hatte gedroht, Israel werde den Friedensprozess beenden und mit "geeigneten Maßnahmen" für Ruhe sorgen. Am Montagabend wurden in Israel und in Gaza UN-Generalsekretär Kofi Annan sowie Russlands Außenminister Igor Iwanow erwartet. Beide wollen eine weitere Eskalation der Gewalt in der Region verhindern. Iwanow erklärte nach Gesprächen mit Syriens Staatschef Baschar al-Assad und Außenminister Faruk al-Schara, die israelische Armee solle "das Töten von Palästinensern" einstellen. Iwanow erklärte, auch die Entführung der drei israelischen Soldaten sei Gegenstand der Gespräche gewesen. Syrien betrachtet Libanon als sein Protektorat. US-Präsident Bill Clinton schlug nach Angaben des Nachrichtensenders CNN ein neues Nahost-Gipfeltreffen in Kairo schon Mitte dieser Woche vor. Clinton habe Ägyptens Präsident Hosni Mubarak einen entsprechenden Vorschlag gemacht. US-Außenministerin Madeleine Albright appellierte an Arafat und Barak, die Gewalt einzustellen. Beide Seiten müssten Konzessionen machen. Arafat müsse die Steine werfenden Jugendlichen unter Kontrolle bringen. Der außenpolitische Repräsentant der EU, Javier Solana, wollte am heutigen Dienstag nach Syrien und den Libanon reisen. Er will sich dort vor allem für die Befreiung der drei entführten Soldaten einsetzen. Arafat war am Montagmorgen zu drittenmal in zehn Tagen mit Mubarak zusammengetroffen. Über den Inhalt des Treffens wurde zunächst nichts bekannt. Barak kündigte eine Sondersitzung seines Kabinetts an. Es wird damit gerechnet, dass Barak angesichts der Gewalt eine Notstandsregierung bildet, der auch der rechtsnationale Likud angehören wird. Die Gewalt in den Palästinensergebieten nahm seit dem Ultimatum Baraks zwar ab, dennoch wurden auch am Montag heftige Kämpfe aus Ost-Jerusalem und den Westbank-Städten Hebron und Ramallah gemeldet. In der arabisch-israelischen Stadt Nazareth hatten sich in der Nacht zu Montag arabische Israelis erneut Straßenschlachten mit jüdischen Israelis aus der Nachbarstadt Nazeret Illit geliefert. Dabei wurde ein arabischer Israeli von der Polizei erschossen. Bereits am Samstag hatten jüdische Israelis in Tiberias am See Genezareth eine Moschee in Brand gesteckt. Dies war eine Reaktion darauf, dass Palästinenser das jüdische Josephsgrab in Nablus verwüstet hatten. Zudem stammt einer der drei entführten Soldaten aus Tiberias. In Umm el Fafa nahe der Autonomiestadt Ramallah wurde die Leiche eines Palästinensers gefunden, der nach palästinensischen Angaben von jüdischen Siedlern ermordet wurde. Bei Nablus fand die israelische Armee die Leiche eines seit Freitag vermissten Siedlers. Bei dem offenbar von palästinensischen Extremisten ermordeten Rabbiner aus Brooklyn soll es sich laut New York Times um einen Cousin zweiten Grades des US-Vizepräsidentschafts-Kandidaten Joseph Lieberman handeln. |