Süddeutsche Zeitung, 10.10.2000 Barak kämpft an zwei Fronten Israels Premier muss mit Arafat verhandeln und sein innenpolitisches Überleben sichern Selbst wenn er es schaffen könnte, die blutigen Unruhen im Land zu stoppen - Ehud Barak muss nicht nur dies eine Schlachtfeld befrieden. Der israelische Premier, der derzeit ohne parlamentarische Mehrheit regiert, wird sich womöglich schon Ende des Jahres Neuwahlen stellen müssen. Die Notstandsregierung mit dem rechtsnationalen Likud, die er jetzt nach dem Ablauf des Ultimatums formieren will, wäre nur eine Überbrückungsmaßnahme. Um sein politisches Überleben zu garantieren, hat sich Barak der säkularen Mehrheit der Israelis erinnert - und sucht nun, ihnen seine Vision von einem "modernen Israel" schmackhaft zu machen. Auf seiner "Mission Stimmenfang" betätigt sich Barak als Revolutionär im Kulturkampf. Er frappiert die Öffentlichkeit mit unerhörten Ideen, während sich fromme Orthodoxe und weltliche Liberale darum streiten, welche Regeln das öffentliche Leben in Israel bestimmen sollen. Israel soll sich "fit machen fürs 21. Jahrhundert", sagt Barak - und ließ das Religionsministerium auflösen, das über viele Jahre hinweg die Hochburg etlicher religiöser Parteien war. Der weltlich orientierte Premierminister macht plötzlich Ungerechtigkeiten in seinem Land aus, die "schleunigst geändert werden müssen". Sein Reformplan: Busse und Bahnen, die bislang von Freitagabend bis Samstagabend stillstehen, sollen künftig auch am heiligen Schabbat fahren dürfen. Es sei "unerträglich", sagt er, dass ärmere Bürger, die kein eigenes Auto besitzen, samstags nicht an den Strand fahren könnten. Barak will auch verhindern, dass jährlich zehntausend nicht-religiöse Israelis nach Zypern fliegen, um zu heiraten. Der Premier will nun plötzlich zivile Standesämter erlauben. Auch die staatliche Fluglinie El Al soll künftig an Frei- und Samstagen fliegen dürfen - dass die Maschinen regelmäßig einen Tag pro Woche am Boden bleiben, beschert der Fluggesellschaft einen Verlust von einer Million Dollar. Barak würde El Al gerne privatisieren, aber kein Investor würde eine Fluglinie kaufen, die an nur sechs Tagen fliegt. Das hoch entwickelte High-Tech-Land Israel muss sich im Alltag immer noch altertümlichen Regeln beugen - sie sind Teil der Konzessionen von David Ben-Gurion an die Ultra-Orthodoxen, der sich damit 1948 die Erlaubnis erkaufte, einen Staat auszurufen. Hotels, Universitäten, Gerichte, Krankenhäuser und Armee müssen nach koscheren Regeln wirtschaften - in ihren Restaurants kann man etwa keinen Cappuccino nach einer Mahlzeit bestellen, weil Fleisch und Milch zusammen unkoscher wären. Die Rabbinate wachen über die Einhaltung der Rituale bei Geburt, Heirat und Tod. Oder sie regen Untersuchungen an, wenn ein Techniker in London das Flugzeug des Premiers an einem Schabbat repariert. Ehud Barak will mit Reformen die Bevölkerung für sich gewinnen, aber im Parlament verscherzt er sich damit die Gunst der religiösen Parteien. Schon wettert der Schas-Sprecher Itzchak Sudri, dass Barak das heilige Land entweihe und droht: "Der Kampf mit den Palästinensern ist Barak offenbar nicht genug." Thorsten Schmitz |