Süddeutsche Zeitung, 10.10.2000 Blutige Unruhen im Nahen Osten Arafat läuft der Nachwuchs davon Die junge Garde der Palästinenser-Organisationen glaubt nicht mehr an Verhandlungslösungen / Von Heiko Flottau Kairo - Eine bange Frage wird in diesen Tagen immer wieder gestellt: Ist Palästinenser-Präsident Jassir Arafat in der Lage, die Jugendlichen, die er zum Steinewerfen schickte, wieder zurückzupfeifen? Innerhalb seiner eigenen Fatah-Organisation gewinnt eine junge Garde an Einfluss, welche die Zeit für eine neue Intifada für gekommen hält. Diese meist jungen Leute unter zwanzig Jahren haben den Glauben an die israelische Kompromissbereitschaft bereits verloren. Fast ebenso enttäuscht sind sie von Jassir Arafat. Sie stellen seine Suche nach einer Verhandlungslösung, sieben Jahre nach den Verträgen von Oslo, die noch keinen Frieden brachten, in Frage. Sie wollen Israel bekämpfen, so lange, bis eine "wahrhafte Friedenslösung" erreicht ist: Ost-Jerusalem unter Kontrolle der Araber, Rückkehr der Flüchtlinge, Aufgabe der Siedlungen. "Handeln statt Verhandeln" lautet die Devise der jungen Fatah-Kämpfer. Die Entführung von drei israelischen Soldaten durch die libanesische Hisbollah wurde von Arafats Nachwuchskämpfern mit Jubel begrüßt. Jassir Arafat weiß, dass er die Fatah-Rebellen nicht einfach in Schulen und Universitäten zurückschicken kann. Bis jetzt passte die Revolution der Jungpalästinenser in sein politisches Konzept: Nach jahrelangen, mühseligen und vergeblichen Verhandlungsrunden fand er es nützlich, den Kämpfern das Feld zu überlassen - vorübergehend. Die Fatah-Rebellen stehen nicht allein. Auch andere radikale Organisationen sehen den Zeitpunkt des Handelns gekommen. Die libanesische Hisbollah, die palästinensische Hamas, "Islamischer Dschihad" und die in Damaskus sitzende "Volksfront zur Befreiung Palästinas" koordinieren offenbar ihre Aktionen immer besser. Jenseits aller ideologischen Differenzen sind sie sich darüber einig, dass Arafats Verhandlungsstrategie fehlgeschlagen ist. Gegen eine solche, selten einige Phalanx kann Arafat nicht viel ausrichten. Er hat die Signale verstanden. Und ließ die Unruhen zu. Allerdings wird auch eine vereinigte palästinensische Kampffront nur dann Erfolg haben, wenn die arabischen Staaten hinter ihr stehen. Die Demonstrationen gegen die amerikanische Botschaft in Damaskus, die täglichen Kundgebungen an den Universitäten in Kairo werden von den Behörden nur mühsam in Schach gehalten. Die überraschend schnelle Einberufung einer arabischen Gipfelkonferenz für die zweite Oktoberhälfte beweist, dass sich die arabischen Regierungen der kritischen Stimmung bewusst sind. |